Stoßen auf dem Parkplatz eines Baumarktes zwei PKWs beim Rückwärtsausparken aus schräg gegenüber liegenden Parkbuchten zusammen, haben die Halter beider Fahrzeuge grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) einzustehen, weil die Unfallschäden beim Betrieb von Kraftfahrzeugen entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte.
Im Rahmen der hiernach gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und Verschuldensanteile ist Folgendes zu beachten:
Auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen sind die Regeln der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) grundsätzlich anwendbar (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 04.03.2004 – 4 StR 377/03 –).
- Die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO, wonach sich der Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren so verhalten muss, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, und er sich erforderlichenfalls einweisen lassen muss, ist jedoch, da sie primär dem Schutz des fließenden und deshalb typischerweise schnelleren Verkehrs dient, bei einem Parkplatzunfall nicht unmittelbar anwendbar.
- Vielmehr ist auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter anstelle des § 9 Abs. 5 StVO das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme (§ 1 Abs. 2 StVO) zu beachten.
Danach muss sich ein Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert oder belästigt wird.
- Allerdings ist die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO bei Unfällen auf Parkplätzen mittelbar anwendbar oder deren Wertung im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen.
Da auf Parkplätzen stets mit ausparkenden und rückwärtsfahrenden Fahrzeugen zu rechnen ist, müssen Kraftfahrer hier so vorsichtig fahren, dass sie jederzeit anhalten können.
- Das gilt in besonderem Maße für den rückwärtsfahrenden Verkehrsteilnehmer.
Bei ihm ist die besondere Gefährlichkeit des Rückwärtsfahrens mit einzubeziehen, die wegen des eingeschränkten Sichtfeldes des Rückwärtsfahrenden für den rückwärtigen Verkehr besteht.
Entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO muss er sich deshalb so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann.
- Demzufolge spricht bei einem Unfall auf einem Parkplatz im Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren grundsätzlich der erste Anschein für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden, wenn feststeht, dass die Kollision beim Rückwärtsfahren des Verkehrsteilnehmers stattgefunden hat.
- Dagegen spricht der Beweis des ersten Anscheins regelmäßig dann nicht für ein (Mit-)Verschulden eines Fahrzeugführers, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das stehende Fahrzeug hineingefahren ist.
Denn es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach sich der Schluss aufdrängt, dass auch der Fahrzeugführer, der sein Fahrzeug vor der Kollision auf dem Parkplatz zum Stillstand gebracht hat, die ihn treffenden Sorgfaltspflichten verletzt hat.
- Anders als im fließenden Verkehr mit seinen typischerweise schnellen Verkehrsabläufen, bei denen der Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sein Verkehrsfluss nicht durch ein rückwärtsfahrendes Fahrzeug gestört wird, gilt in der Situation auf dem Parkplatz ein solcher Vertrauensgrundsatz nicht.
- Hier muss der Verkehrsteilnehmer jederzeit damit rechnen, dass rückwärtsfahrende oder ein- und ausparkende Fahrzeuge seinen Verkehrsfluss stören. Er muss daher, um der Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 Abs. 1 StVO genügen zu können, von vornherein mit geringer Geschwindigkeit und bremsbereit fahren, um jederzeit anhalten zu können.
Hat ein Fahrer diese Verpflichtung erfüllt und gelingt es ihm, beim Rückwärtsfahren vor einer Kollision zum Stehen zu kommen, hat er grundsätzlich seiner Verpflichtung zum jederzeitigen Anhalten genügt, so dass für den Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden kein Raum bleibt.
Aber auch dann,
- wenn nicht auszuschließen ist, dass eines der beiden Fahrzeuge zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes bereits gestanden ist und
- der Beweis des ersten Anscheins somit nicht für ein Verschulden dieses Fahrzeugführers spricht,
können
- die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs und
- weitere Umstände, aus denen auf ein Verschulden dieses ursprünglich Rückwärtsfahrenden geschlossen werden kann,
im Rahmen der gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmenden Abwägung berücksichtigt werden.
Darauf hat der VI. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 6/15 – hingewiesen.
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