Bundesverfassungsgericht – SPD darf Mitgliederabstimmung über das Zustandekommen einer Großen Koalition durchführen.

Bundesverfassungsgericht – SPD darf Mitgliederabstimmung über das Zustandekommen einer Großen Koalition durchführen.

Mit Beschluss vom 06.12.2013 – 2 BvQ 55/13 – hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) den Antrag des Antragstellers, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, eine Abstimmung ihrer Mitglieder über das Zustandekommen einer Großen Koalition durchzuführen, abgelehnt.

Der Antragsteller hatte gerügt, die geplante Abstimmung verstoße gegen Art. 38 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz (GG), weil sie das Recht der freien Entscheidung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in unzulässiger Weise einschränke und weil sie das Ergebnis der Bundestagswahl verfälsche. Die Abgeordneten der SPD, die überwiegend von Nichtmitgliedern gewählt worden seien, würden dadurch letztlich von einer Entscheidung ausgeschlossen und damit der Partei einen zu weitgehenden Einfluss zugewiesen.

Das BVerfG hat in seinem antragsabweisenden Beschluss ausgeführt, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung hier schon nicht in Betracht kommt, weil eine diese Abstimmung beanstandende Verfassungsbeschwerde unzulässig wäre.

Angefochten von jedermann im Wege der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) mit der Behauptung, dadurch in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein, können nämlich nur Akte der öffentlichen Gewalt und mit der Durchführung einer Abstimmung über einen Koalitionsvertrag unter ihren Mitgliedern übt die SPD keine öffentliche Gewalt aus.

Öffentliche Gewalt ist vornehmlich der Staat in seiner Einheit, repräsentiert durch irgendein Organ.
Parteien sind nicht Teil des Staates. Zwar kommt ihnen aufgrund ihrer spezifischen verfassungsrechtlich abgesicherten Vermittlungsfunktion zwischen Staat und Gesellschaft eine besondere Stellung zu; sie wirken in den Bereich der Staatlichkeit aber lediglich hinein, ohne ihm anzugehören.
Jedenfalls der Abschluss einer Koalitionsvereinbarung zwischen – im Übrigen grundrechtsberechtigten – politischen Parteien und die dem vorangehende oder nachfolgende parteiinterne Willensbildung wirken nicht unmittelbar und dergestalt in die staatliche Sphäre hinein, dass sie als – auch in einem weit verstandenen Sinn – staatliches Handeln qualifiziert werden könnten.
Koalitionsvereinbarungen bedürfen vielmehr weiterer und fortlaufender Umsetzung durch die regelmäßig in Fraktionen zusammengeschlossenen Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die als Vertreter des ganzen Volkes jedoch an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG).
Diese Vorschrift gewährleistet für jeden der nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gewählten Abgeordneten sowohl die Freiheit in der Ausübung seines Mandats als auch die Gleichheit im Status der Vertreter des ganzen Volkes.
So setzt sich insbesondere die Gleichheit der Wahl in der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten fort und hält damit auch in den Verzweigungen staatlich-repräsentativer Willensbildungsprozesse die demokratische Quelle offen, die aus der ursprünglichen, im Wahlakt liegenden Willensbetätigung jedes einzelnen Bürgers fließt.

Die politische Einbindung des Abgeordneten in Partei und Fraktion in Bund und Ländern ist zwar verfassungsrechtlich erlaubt und gewollt:
Das Grundgesetz weist den Parteien eine besondere Rolle im Prozess der politischen Willensbildung zu (Art. 21 Abs. 1 GG), weil ohne die Formung des politischen Prozesses durch geeignete freie Organisationen eine stabile Demokratie in großen Gemeinschaften nicht gelingen kann.
Die von Abgeordneten – in Ausübung des freien Mandats – gebildeten Fraktionen sind im Zeichen der Entwicklung zur Parteiendemokratie notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung.
Im organisatorischen Zusammenschluss geht die Freiheit und Gleichheit des Abgeordneten jedoch nicht verloren. Sie bleibt innerhalb der Fraktion bei Abstimmungen und bei einzelnen Abweichungen von der Fraktionsdisziplin erhalten und setzt sich zudem im außengerichteten Anspruch der Fraktion auf proportionale Beteiligung an der parlamentarischen Willensbildung fort.
Wie die politischen Parteien diesen parlamentarischen Willensbildungsprozess innerparteilich vorbereiten, obliegt unter Beachtung der – jedenfalls hier – nicht verletzten Vorgaben aus Art. 21 und 38 GG sowie des Parteiengesetzes grundsätzlich ihrer autonomen Gestaltung.

Es ist nicht erkennbar, dass die vom Antragsteller beanstandete Abstimmung für die betroffenen Abgeordneten Verpflichtungen begründen könnte, die über die mit der Fraktionsdisziplin verbundenen hinausginge.
Wie diese kann sie nicht von jedermann mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden (§ 90 Abs. 1 BVerfGG).

 

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