Im Verfahren betreffend die erstmalige Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts darf das Gericht unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) ausnahmsweise dann von der Anhörung eines Betroffenen bzw. von der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks absehen, wenn
- eine Vorführung des Betroffenen (§ 278 Abs. 5 FamFG) unverhältnismäßig ist und
- das Gericht zuvor sämtliche nicht mit Zwang verbundenen Versuche – einschließlich des Versuchs einer Anhörung in der gewöhnlichen Umgebung – unternommen hat, um den Betroffenen zu befragen oder sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen.
Darauf hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 02.07.2014 – XII ZB 120/14 – hingewiesen.
Danach
- hat das Gericht gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG einen Betroffenen zwar vor der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören sowie sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen und
- wenn die persönliche Anhörung an der Weigerung des Betroffenen scheitert kann das Gericht
- nach § 278 Abs. 5 FamFG die Vorführung des Betroffenen durch die Betreuungsbehörde anordnen und
- zur Durchsetzung der Vorführung die Betreuungsbehörde zur Anwendung von Gewalt (§ 278 Abs. 6 FamFG) sowie
- zur Öffnung und Durchsuchung der Wohnung (§ 278 Abs. 7 FamFG) ermächtigen.
Allerdings sind im Betreuerbestellungsverfahren auch Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen das Gericht die persönliche Anhörung eines Betroffenen nicht mit den gemäß § 278 Abs. 5 bis 7 FamFG zu Gebote stehenden Mitteln durchsetzen darf.
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Vorführung des Betroffenen oder deren zwangsweise Vollziehung außer Verhältnis zum Verfahrensgegenstand stehen würden.
- Steht die Vorführung des Betroffenen oder deren zwangsweise Vollziehung außer Verhältnis zum Verfahrensgegenstand und
- sind alle zwanglosen Möglichkeiten ausgeschöpft, den Betroffenen in seiner üblichen Umgebung anzuhören (§ 278 Abs. 1 Satz 3 FamFG) bzw. sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen,
kann das Gericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen
- nicht nur unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 Satz 1 FamFG von der persönlichen Anhörung des Betroffenen
- sondern auch entsprechend § 34 Abs. 3 FamFG ausnahmsweise von der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks
absehen, wenn nur dadurch eine dem Sach- und Streitstand entsprechende Endentscheidung ermöglicht wird.
Angeordnet werden kann eine Betreuung in diesen Fällen aber nur dann, wenn das Gericht nach Ausschöpfung aller sonstigen Erkenntnismöglichkeiten (§ 26 FamFG) auch ohne einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen vom Vorliegen der Betreuungsvoraussetzungen überzeugt ist.
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