Wenn es um die Frage der Einstellung lebenserhaltener Maßnahmen geht.

Wenn es um die Frage der Einstellung lebenserhaltener Maßnahmen geht.

Was man wissen muss, wenn von einem Betreuer oder einem Vorsorgebevollmächtigten beantragt wird, bei einem Betroffenen, der beispielsweise eine Gehirnblutung mit der Folge eines apallischen Syndroms im Sinne eines Wachkomas erlitten hat und mit dem eine Kontaktaufnahme nicht möglich ist, die (weitere) künstliche Ernährung über eine PEG-Magensonde abzubrechen, weil der Betroffene eine künstliche Ernährung nicht gewollt habe.

Nach § 1904 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bedarf

  • die Nichteinwilligung oder
  • der Widerruf der Einwilligung

des Betreuers in eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn

  • die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und
  • die begründete Gefahr besteht, dass der Betroffene auf Grund
    • des Unterbleibens bzw.
    • des Abbruchs der lebenserhaltenden Maßnahme

stirbt.

Nicht erforderlich ist eine solche betreuungsgerichtliche Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB jedoch dann, wenn der Betroffene

  • einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer bindenden Patientenverfügung nach § 1901 a Abs. 1 BGB niedergelegt hat und
  • diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.

Nach der Legaldefinition des § 1901 a Abs. 1 BGB ist eine Patientenverfügung eine schriftliche Willensbekundung eines einwilligungsfähigen Volljährigen, mit der er Entscheidungen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen für den Fall der späteren Einwilligungsunfähigkeit trifft.
Unmittelbare Bindungswirkung entfaltet eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können.
Von vornherein nicht ausreichend sind allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen aber auch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt. Insbesondere kann nicht ein gleiches Maß an Präzision verlangt werden, wie es bei der Willenserklärung eines einwilligungsfähigen Kranken in die Vornahme einer ihm angebotenen Behandlungsmaßnahme erreicht werden kann. Andernfalls wären nahezu sämtliche Patientenverfügungen unverbindlich, weil sie den Anforderungen an die Bestimmtheit nicht genügten.
In § 1901 a Abs. 3 BGB ist klargestellt, dass es für die Verbindlichkeit des tatsächlichen oder mutmaßlichen Willens eines aktuell einwilligungsunfähigen Betroffenen nicht auf die Art und das Stadium der Erkrankung ankommt. Auch wenn die Grunderkrankung noch keinen unmittelbar zum Tod führenden Verlauf genommen hat, d.h. der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, ist das verfassungsrechtlich verbürgte Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu achten, gegen dessen Willen eine ärztliche Behandlung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden darf.
Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme ist bei entsprechendem Willen des Betroffenen als Ausdruck der allgemeinen Entscheidungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) grundsätzlich zulässig. Der Betroffene darf eine Heilbehandlung auch dann ablehnen, wenn sie seine ohne Behandlung zum Tod führende Krankheit besiegen oder den Eintritt des Todes weit hinausschieben könnte.

  • Enthält die schriftliche Patientenverfügung eine Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen, die auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, ist eine Einwilligung des Betreuers, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfällt, in die Maßnahme nicht erforderlich, da der Betroffene diese Entscheidung selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen hat (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 17.03.2003 – XII ZB 2/03 –)
  • Dem Betreuer obliegt es in diesem Fall nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901 a Abs. 1 Satz 2 BGB).

Liegt keine wirksame, auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutreffende Patientenverfügung vor, hat, da in diesem Fall der Willensbekundung des Betroffenen keine unmittelbare Bindungswirkung zukommt, der Betreuer nach § 1901 a Abs. 2 BGB die Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in eine anstehende ärztliche Maßnahme zu treffen, wobei er den Behandlungswünschen oder dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen Geltung zu verschaffen, also

  • die Behandlungswünsche oder
  • den mutmaßlichen Willen des Betreuten

festzustellen hat.

Die hierauf beruhende Entscheidung des Betreuers bedarf dann nach § 1904 Abs. 4 BGB nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn

  • zwischen ihm und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber besteht,

dass

Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers sichergestellt sein, dass eine gerichtliche Genehmigung nur in Konfliktfällen erforderlich ist. Liegt kein Verdacht auf einen Missbrauch vor, soll die Umsetzung des Patientenwillens nicht durch ein sich gegebenenfalls durch mehrere Instanzen hinziehendes betreuungsgerichtliches Verfahren belastet werden. Die Durchsetzung des Patientenwillens würde erheblich verzögert oder unmöglich gemacht, da für die Dauer des Verfahrens die in Rede stehenden ärztlichen Maßnahmen in der Regel fortgeführt werden müssten und damit gegebenenfalls massiv in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen eingegriffen wird.

  • Dem Schutz des Patienten vor einem etwaigen Missbrauch der Betreuerbefugnisse wird zum einen dadurch Rechnung getragen, dass eine wechselseitige Kontrolle zwischen Arzt und Betreuer bei der Entscheidungsfindung stattfindet.
  • Zum anderen kann jeder Dritte, insbesondere der Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte oder Vertrauenspersonen des Betreuten, aufgrund des Amtsermittlungsprinzips im Betreuungsverfahren jederzeit eine betreuungsgerichtliche Kontrolle der Betreuerentscheidung in Gang setzen.

Angesichts des schwerwiegenden Eingriffs ist allerdings die Schwelle für ein gerichtliches Einschreiten nicht zu hoch anzusetzen. Das Betreuungsgericht muss das Genehmigungsverfahren nach § 1904 Abs. 2 BGB immer dann durchführen, wenn einer der Handelnden Zweifel daran hat, ob das geplante Vorgehen dem Willen des Betroffenen entspricht.
Das Verfahren bietet einen justizförmigen Rahmen, innerhalb dessen die rechtlichen Grenzen des Betreuerhandelns geklärt und der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Betroffenen – im Rahmen des Möglichen – ermittelt werden kann. Dies vermittelt der Entscheidung des Betreuers damit eine Legitimität, die geeignet ist, den Betreuer subjektiv zu entlasten sowie seine Entscheidung objektiv anderen Beteiligten zu vermitteln, und die ihn vor dem Risiko einer abweichenden strafrechtlichen ex-post-Beurteilung schützen kann.
Daher ist die Prüfungskompetenz des Betreuungsgerichts auch dann eröffnet, wenn zwar ein Einvernehmen zwischen Betreuer und behandelndem Arzt besteht, aber gleichwohl ein Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung gestellt wird.
Stellt das Gericht dieses Einvernehmen im Sinne von § 1904 Abs. 4 BGB fest, hat es den Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung ohne weitere gerichtliche Ermittlungen abzulehnen und ein sogenanntes Negativattest zu erteilen, aus dem sich ergibt, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist (Landgericht (LG) Kleve, Beschluss vom 31.05.2010 – 4 T 77/10 –; Amtsgericht (AG) Nordenham, Beschluss vom 20.03.2011 – 9 XVII 8/00 –; vgl. auch LG Oldenburg, Beschluss vom 11.03.2010 – 8 T 180/10 –).
Gleiches gilt, wenn das Gericht trotz Einvernehmens zunächst einen Anlass für die Ermittlung des Patientenwillens mit den ihm zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten sieht, aber nach der Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a BGB festgestellten Willen entspricht.
Bei unterschiedlichen Auffassungen oder bei Zweifeln des behandelnden Arztes und des Betreuers über den Behandlungswillen des Betreuten muss das Betreuungsgericht hingegen nach der Kontrolle, ob die Entscheidung des Betreuers über die Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung tatsächlich dem ermittelten Patientenwillen entspricht, eine Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB erteilen oder versagen.

In den verbleibenden Fällen, in denen eine betreuungsgerichtliche Genehmigung erforderlich ist, ist diese gemäß § 1904 Abs. 3 BGB vom Betreuungsgericht zu erteilen, wenn

  • die Nichteinwilligung oder
  • der Widerruf der Einwilligung

dem Willen des Betroffenen entspricht.

Gerichtlicher Überprüfungsmaßstab ist der individuelle Patientenwille, wobei für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens die in § 1901 a Abs. 2 BGB genannten Anhaltspunkte heranzuziehen sind. Dabei differenziert § 1901 a Abs. 2 Satz 1 BGB

  • zwischen den Behandlungswünschen einerseits und
  • dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen andererseits.

Behandlungswünsche im Sinne des § 1901 a Abs. 2 BGB können etwa alle Äußerungen eines Betroffenen sein, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation enthalten, aber den Anforderungen an eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nicht genügen, etwa weil sie nicht schriftlich abgefasst wurden, keine antizipierenden Entscheidungen treffen oder von einem minderjährigen Betroffenen verfasst wurden.
Auch eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB, die jedoch nicht sicher auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen passt und deshalb keine unmittelbare Wirkung entfaltet, kann als Behandlungswunsch Berücksichtigung finden. Behandlungswünsche sind insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen.

Auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ist demgegenüber abzustellen,

  • wenn sich ein auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation bezogener Wille des Betroffenen nicht feststellen lässt.

Der mutmaßliche Wille ist anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen (die jedoch keinen Bezug zur aktuellen Lebens- und Behandlungssituation aufweisen), ethischer oder religiöser Überzeugungen und sonstiger persönlicher Wertvorstellungen des Betroffenen (§ 1901 a Abs. 2 Satz 2 und 3 BGB).
Der Betreuer stellt letztlich eine These auf, wie sich der Betroffene selbst in der konkreten Situation entschieden hätte, wenn er noch über sich selbst bestimmen könnte.

  • Allerdings kommt die Berücksichtigung eines solchen mutmaßlichen Willen des Betroffenen nur hilfsweise in Betracht, wenn und soweit der wirkliche vor Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit geäußerte Wille des Betroffenen nicht zu ermitteln ist.

Liegt eine Willensbekundung des Betroffenen vor, bindet sie als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts den Betreuer.
Der Wille des Patienten muss stets beachtet werden, unabhängig von der Form, in der er geäußert wird.
Die Willensbekundung für oder gegen bestimmte medizinische Maßnahmen darf vom Betreuer nicht durch einen „Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen“ des Betroffenen korrigiert werden.

Für die Feststellung des behandlungsbezogenen Patientenwillens gelten strenge Beweismaßstäbe, die der hohen Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter,

  • dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen einerseits und
  • dem Schutz des Lebens andererseits,

Rechnung zu tragen haben.

Die bei der Ermittlung und der Annahme

  • eines Behandlungswunsches oder
  • des mutmaßlichen Willens

zu stellenden strengen Anforderungen gelten nach § 1901 a Abs. 3 BGB unabhängig davon, ob der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht oder nicht.
Das Vorliegen einer Grunderkrankung mit einem „irreversibel tödlichen Verlauf“ ist nicht Voraussetzung für den zulässigen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. 

Darauf hat der u.a. für Betreuungssachen zuständige XII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 17.09.2014 – XII ZB 202/13 – hingewiesen.

 


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