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Auto gekauft? – Wo kann man nach einem Vertragsrücktritt klagen?

Nach Rücktritt von einem Autokaufvertrag – Kann der Käufer auch an seinem Wohnsitz Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises erheben?

Erklärt der Käufer eines gebrauchten Pkws wegen eines Mangels am gekauften Fahrzeug nach § 349 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) den Rücktritt vom Kaufvertrag und erhebt er gegen den Verkäufer Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, muss der Käufer diese Klage nicht gemäß §§ 12, 13 Zivilprozessordnung (ZPO) bei dem für den Wohnsitz des Verkäufers örtlich zuständigen Gericht erheben.
Auch in der Regel örtlich zuständig in diesem Fall ist gemäß § 29 ZPO nämlich das Gericht, in dessen Bezirk der Käufer seinen Wohn- bzw. Betriebssitz hat.
Der Käufer kann demzufolge gemäß § 35 ZPO wählen, wo er die Klage erhebt.

Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) mit Urteil vom 04.09.2012 – 3 U 99/11 – entschieden und das soll jedenfalls dann gelten, wenn die beiderseitigen Leistungspflichten vollzogen worden sind.

Danach ist nach Rücktritt vom Kaufvertag über einen Gebrauchtwagen einheitlicher Erfüllungsort i. S. d. § 29 ZPO für sämtliche Rückgewähransprüche – also nicht nur für die Rücknahmeverpflichtung, sondern auch für den Anspruch des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises – der Ort, an dem sich die Kaufsache bei Zugang der Rücktrittserklärung vertragsgemäß befindet und das ist der Ort an dem der Pkw nach dem Vertrag gewöhnlich abgestellt wird, in der Regel somit – soweit nach dem Vertrag keine besondere Verwendung vorausgesetzt worden ist – der Wohn- oder Geschäftssitz des Käufers.

Hinweis:
Eine örtliche Zuständigkeit des Gerichts am Wohn- oder Geschäftssitz des Käufers nach § 29 ZPO ist allerdings dann nicht gegeben, wenn die Rückabwicklung des Kaufvertrags nicht nach Rücktrittsrecht (§§ 346 ff. BGB ), sondern die Rückabwicklung des Vertrages nach §§ 812 ff. BGB (ungerechtfertigte Bereicherung) – etwa wegen Sittenwidrigkeit des Vertrages oder nach Anfechtung – erfolgt oder wenn der Kaufpreis in Form einer Minderung teilweise zurückverlangt wird.

 

Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt. Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden.

Mietminderung, wenn die Quadratmeterzahl der tatsächlich überlassenen Mietfläche unter der vertraglich vereinbarten Quadratmeterzahl liegt.

Bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen stellt die Unterschreitung der vertraglich vereinbarten durch die dem Mieter vom Vermieter tatsächlich überlassene Fläche einen Mangel der Mietsache dar.
Dass die in Bezug auf die Beschaffenheit der Mietsache vereinbarte Nutzfläche im Vertrag mit einem Circa-Maß angegeben ist, steht dabei einem zur Mietminderung berechtigten Sachmangel nicht im Wege, wenn die tatsächliche Fläche mehr als 10 % unter der vereinbarten Quadratmeterzahl liegt.

Aufgrund des Mangels hat der Mieter nach § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Durch die Mietminderung soll die von den Vertragsparteien festgelegte Gleichwertigkeit zwischen den beiderseitigen Leistungen bei einer Störung auf der Vermieterseite wieder hergestellt werden. Welche Herabsetzung der Miete angemessen ist, richtet sich nach der Schwere des Mangels und der dadurch bewirkten Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit der vermieteten Sache.

Beim Wohnraummietrecht legt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die prozentuale Unterschreitung der Wohnraumfläche (hinsichtlich dem was zur Wohnfläche gehört und was nicht vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 1a Wohnflächenverordnung) als Maßstab der Minderung zugrunde.

Nicht so verfahren werden darf allerdings, wenn es sich um eine Geschäftsraummiete handelt und die Flächenabweichung sich ganz überwiegend sowie konkret mit vermieteten Nebenräumen (z. B. Kellerräumen) zuordnen lässt, die gegenüber den übrigen vermieteten (Haupt)Räumen einen niedrigeren Gebrauchswert aufweisen. Dann darf bei der Festsetzung der angemessenen Minderungsquote der geringere Gebrauchswert dieser Nebenräume nicht unberücksichtigt bleiben.

Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 18.07.2012 – XII ZR 97/09 – entschieden.

 

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Wohnungseigentümergemeinschaft – Unterbliebene Einladung zur Wohnungseigentümerversammlung.

Wird ein Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft zu einer Eigentümerversammlung nicht eingeladen führt dies regelmäßig nur zur Anfechtbarkeit der in der Versammlung gefassten Beschlüsse und nur in ganz besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen – beispielsweise wenn dadurch der Wohnungseigentümer in böswilliger Weise gezielt von der Teilnahme ausgeschlossen werden soll – zur Nichtigkeit.

Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung mit Urteil vom 20.07.2012 – V ZR 235/11 – entschieden.

 

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Bußgeldkatalog – Regelahndungen und Ausnahmen.

Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg hat mit Beschluss vom 17.07.2012 – 3 Ss OWi 944/12 – auf Folgendes hingewiesen:

  • Die in der Bußgeldkatalogverordnung (BKatV) vorgesehenen Regelahndungen gehen von fahrlässiger Begehung, gewöhnlichen Tatumständen und fehlenden Vorahndungen des Betroffenen aus (vgl. §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 BKatV).
  • Hat sich eine Geschwindigkeitsmessstelle entgegen der einschlägigen landespolizeilichen Verkehrsüberwachungsrichtlinien in einem zu geringen Abstand vor dem das Ende der innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit markierten Ortstafel (Zeichen 311 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 Straßenverkehrs-Ordnung) befunden, rechtfertigt dies dann kein Absehen von einem Regelfahrverbot, wenn die Messstelle bzw. Überwachungsstrecke aufgrund der örtlichen Gegebenheiten z. B. als Unfallbrennpunkt bzw. Unfallgefahrenpunkt oder aufgrund sonstiger besonderer Verkehrsverhältnisse (z. B. Kreuzung, Einmündung, Fußgängerüberweg, Bushaltestelle, anliegende öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten etc.) oder anderer gefahrerhöhender Umstände sachlich gerechtfertigt und damit ermessensfehlerfrei ausgewählt wurde.
  • Ein Wahrnehmungsfehler und die hierauf gegebenenfalls beruhende Fehleinschätzung können einem Betroffenen nur dann entlasten, wenn diese ihrerseits nicht als pflichtwidrig anzusehen wären. Auf nur einfache Fahrlässigkeit kann sich nämlich derjenige nicht berufen, welcher die an sich gebotene Aufmerksamkeit in grob verkehrswidriger Weise unterlassen hat. Wer etwa während der Fahrt sein Autotelefon benutzt, intensiv auf Wegweiser achtet, sich durch ein am Straßenrand liegengebliebenes Fahrzeug ablenken lässt oder in einen Kreuzungsbereich zu schnell einfährt, kann nicht geltend machen, er habe nur versehentlich ein Verkehrszeichen nicht wahrgenommen. Denn durch sein vorheriges sorgfaltswidriges Verhalten hat er selbst in grob nachlässiger Weise zu seiner eigenen Unaufmerksamkeit beigetragen.
  • Von einem nur auf einer augenblicklichen Unaufmerksamkeit beruhenden und deshalb die Annahme eines sogenannten Augenblicksversagens rechtfertigenden Verkehrsverstoß auszugehen und demzufolge eine Ausnahme von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot aufgrund dieser besonderen Tatumstände anzunehmen, scheidet regelmäßig dann aus, wenn für einen Betroffenen Veranlassung bestanden hätte, seine Aufmerksamkeit auf die bestehende (innerörtliche) Verkehrslage zu konzentrieren.

 

Mit obiger Entscheidung hat das OLG Bamberg auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ein Urteil des Amtsgerichts aufgehoben, das bei einem straßenverkehrsrechtlich bislang noch nicht in Erscheinung getretenen Betroffenen, wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 39 km/h, von der Verhängung des Regelfahrverbots abgesehen und stattdessen die Regelgeldbuße verdoppelt hatte.

 

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Ersatzzustellung an ein Postfach?

Ersatzzustellung nach § 180 Satz 1 ZPO – Ist eine Zustellung durch Einlegen in ein Postfach des Empfänger möglich, wenn dieser unbekannten Aufenthalts ist?

Ist eine Zustellung unter der Wohnanschrift eines Empfängers nicht möglich, weil diese unbekannt ist oder der Empfänger ohne festen Wohnsitz ist, ist, wenn der Empfänger ein Postfach unterhält, eine Ersatzzustellung nach § 180 Satz 1 ZPO durch Einlegen in sein Postfach möglich.

Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 14.06.2012 – V ZB 182/11 – entschieden.

Danach ist die Annahme, eine ähnliche Einrichtung i. S. v. § 180 Satz 1 ZPO könne ein von dem Empfänger eingerichtetes Postfach sein, mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar. Zustellungszweck ist es dem Adressaten angemessene Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks zu verschaffen und den Zeitpunkt dieser Bekanntgabe zu dokumentieren. Dabei soll insbesondere die Ersatzzustellung nach § 180 Satz 1 ZPO dem Adressaten einen leichteren und schnelleren Zugang zu der Sendung ermöglichen, als dies insbesondere bei einer Ersatzzustellung durch Niederlegung der Fall ist. Diesem Anliegen des Gesetzgebers entsprechend ist eine solche Ersatzzustellung auch zuzulassen, wenn zwar kein Wohnort des Empfängers bekannt oder vorhanden, wohl aber eine briefkastenähnliche Vorrichtung zum Empfang eingerichtet ist. Denn hierdurch wird dem Empfänger die Kenntnisnahme des Schriftstücks in vergleichbar sicherer und einfacher Weise ermöglicht wie bei dem Einlegen in einem Briefkasten.

 

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Wer betrunken Fahrrad fährt riskiert nicht nur seinen Führerschein sondern auch, künftig zu Fuß gehen zu müssen.

Wer mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,6 Promille im Straßenverkehr Fahrrad fährt begeht eine Straftat und wird nach § 316 StGB (Strafgesetzbuch) wegen fahrlässiger (oder vorsätzlicher) Trunkenheit im Verkehr zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt.

Ist der Täter im Besitz einer Fahrerlaubnis, kann ihm diese, weil die Trunkenheitsfahrt nicht mit einem Kraftfahrzeug, sondern mit dem Fahrrad begangen wurde (vgl. § 69 Abs. 1 StGB ) zwar vom Strafrichter im Strafverfahren nicht entzogen werden. In Betracht kommt aber eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Verwaltungsverfahren durch die Fahrerlaubnisbehörde.
Ist vom Inhaber einer Fahrerlaubnis ein Fahrzeug bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt worden, begründet dies nämlich Bedenken, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Bei Vorliegen eines solchen Sachverhalts ist die Führerscheinbehörde nach §§ 46 Abs. 3, 3 Abs. 2, 13 Satz 1 Nr. 2 FeV (Fahrerlaubnis-Verordnung) verpflichtet von dem Betreffenden die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern. Ergibt das Gutachten, dass von ihm das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann und mit neuen Alkoholfahrten gerechnet werden muss, die sowohl mit einem Kraftfahrzeug als auch mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen stattfinden könnten, fehlt dem Betreffenden infolge Alkoholmissbrauchs die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Ihm muss dann zwingend von der Fahrerlaubnisbehörde nicht nur gemäß § 3 Abs. 1 StVG (Straßenverkehrsgesetz), § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis entzogen, sondern auch gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV das Führen von Fahrrädern und fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen (z.B. Mofas) auf öffentlichen Straßen untersagt werden.
Nach Beendigung des Missbrauchs ist eine Fahreignung erst dann wieder gegeben, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist.

Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Bayreuth mit Beschluss vom 16.03.2012 – B 1 S 12.136 – entschieden.

 

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Zur winterlichen Streu- und Räumpflicht – Beweislast bei Glatteisunfall.

Die winterliche Räum- und Streupflicht beruht auf der Verantwortlichkeit durch Verkehrseröffnung und setzt eine konkrete Gefahrenlage, das heißt eine Gefährdung durch Glättebildung bzw. Schneebelag voraus. Grundvoraussetzung für die Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen.
Ist eine Streupflicht gegeben, richten sich Inhalt und Umfang nach den Umständen des Einzelfalls.

Bei öffentlichen Straßen und Gehwegen sind dabei Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht also nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt.

Nach diesen Grundsätzen bestehen Räum- und Streupflichten regelmäßig für die Zeit des normalen Tagesverkehrs. Bei Auftreten von Glätte im Laufe des Tages ist allerdings dem Streupflichtigen ein angemessener Zeitraum zuzubilligen, um die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Glätte zu treffen. Anders verhält es sich aber, wenn unter den gegebenen Umständen (herrschende Wetterlage, örtliche Verhältnisse, Eigenheiten der Straße bzw. des Weges) hinreichende erkennbare Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr bestehen, die ausnahmsweise schon vor der Bildung von Glätte Anlass zu einem „vorbeugenden Streuen“ bieten.

Wer auf Grund eines Glatteisunfalls Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens von dem Streupflichtigen verlangt, muss nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung alle Umstände beweisen, aus denen eine Streupflicht erwächst und sich eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht ergibt. Er muss deshalb den Sachverhalt dartun und gegebenenfalls beweisen, aus dem sich ergibt, dass zur Zeit des Unfalls auf Grund der Wetter-, Straßen- oder Wegelage bereits oder noch eine Streupflicht bestand und diese schuldhaft verletzt worden ist. 

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 12.06.2012 – VI ZR 138/11 – hingewiesen.

 

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Prozesskostenhilfe – Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung.

Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.
Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll allerdings nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Es läuft dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, wenn ein Gericht § 114 Satz 1 ZPO (Zivilprozessordnung) dahin auslegt, dass es eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage – obwohl dies erheblichen Zweifeln begegnet – als einfach oder geklärt ansieht und sie deswegen bereits im Verfahren der Prozesskostenhilfe zum Nachteil des Unbemittelten beantwortet. Entsprechendes gilt, wenn das Gericht bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur abweicht.
Ist eine Rechtsfrage noch nicht im Sinne der vom Gericht vertretenen Auffassung höchstrichterlich geklärt oder lässt sie sich im Hinblick auf die einschlägigen gesetzlichen Regelungen oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht einfach beantworten, darf das Gericht sie nicht bereits im Verfahren der Prozesskostenhilfe zum Nachteil des Unbemittelten beantworten.

Darauf hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 22.05.2012 – 2 BvR 820/11- hingewiesen.

 

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Betäubungsmittelabhängigkeit: Unter welchen Voraussetzungen kommt eine erhebliche Verminderung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit in Betracht?

Die bloße Abhängigkeit von Drogen kann zwar eine (schwere) andere seelische Abartigkeit sein, soweit sie nicht wegen körperlicher Abhängigkeit zu den krankhaft seelischen Störungen gehört (exogene Psychosen) und damit eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB erfüllen.
Die bloße Abhängigkeit beeinflusst für sich genommen die Steuerungsfähigkeit jedoch nicht.
Dies ist erst dann in Erwägung zu ziehen, wenn langjähriger Betäubungsmittelmissbrauch zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat. In diesen Fällen liegen regelmäßig zugleich ein organischer Befund und eine krankhafte seelische Störung vor.
Möglich sind ein Ausschluss oder eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit aber auch, wenn der Täter die Straftat in einem akuten (Drogen)Rausch verübt hat.
Schwere Entzugserscheinungen können die Steuerungsfähigkeit bei Beschaffungsdelikten nur in seltenen Ausnahmefällen, z. B. in Kombination mit Persönlichkeitsveränderungen, aufheben.
Entzugserscheinungen, welche erst bevorstehen, können mitunter den Drang zur Beschaffungskriminalität übermächtig werden lassen, wenn die Angst des Täters vor Entzugserscheinungen, die er schon als äußerst unangenehm („grausamst“) erlitten hat und die er als nahe bevorstehend einschätzt, sein Hemmungsvermögen erheblich vermindert. Dies kann dann insbesondere bei Heroinkonsum die Voraussetzungen des § 21 StGB begründen, ist jedoch trotz der bei den verschiedenen Drogen unterschiedlichen Entzugsfolgen auch bei Kokain- und Amphetaminabhängigkeit nicht von vorneherein völlig ausgeschlossen.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 17.04.2012 – 1 StR 15/12 – hingewiesen.

 

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Strafrecht – Bedeutung der errechneten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit bei der Beurteilung der strafrechtlichen Schuldfähigkeit eines Täters.

Die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Täters, dessen errechnete maximale Blutalkoholkonzentration (BAK) zur Tatzeit 3,03 Promille betragen hat, muss auf Grund des Alkoholkonsums nicht erheblich i. S. von § 21 StGB (Strafgesetzbuch) vermindert gewesen sein.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Beschluss vom 29.05.2012 – 1 StR 59/12 – hingewiesen und hierzu ausgeführt:

Eine BAK in der errechneten Höhe gibt für den Tatrichter Anlass zur Prüfung einer krankhaften seelischen Störung durch einen akuten Alkoholrausch; die Möglichkeit von Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderter Schuldfähigkeit ist dann grundsätzlich zu erörtern. Einen Rechts- oder Erfahrungssatz, der es gebietet, ohne Rücksicht auf die im konkreten Fall feststellbaren psychodiagnostischen Kriterien ab einer bestimmten Höhe der BAK regelmäßig von zumindest „bei Begehung der Tat“ erheblich verminderter Schuldfähigkeit auszugehen, gibt es aber nach der zwischenzeitlich gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht.
Vielmehr ist für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände maßgeblich, die sich auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen.
Dabei kann die BAK ein je nach den Umständen des Einzelfalls sogar gewichtiges, aber keinesfalls allein maßgebliches Beweisanzeichen (Indiz) sein.
Welcher Beweiswert der BAK (die weniger zur Auswirkung des Alkohols, als lediglich zu dessen wirksam aufgenommener Menge aussagt) im Verhältnis zu anderen psychodiagnostischen Beweisanzeichen beizumessen ist, lässt sich nicht schematisch beantworten. Er ist umso geringer, je mehr sonstige aussagekräftige psychodiagnostische Kriterien zur Verfügung stehen. So können die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung auch bei einer BAK schon von unter 2 ‰ begründen, umgekehrt eine solche selbst bei errechneten Maximalwerten von über 3 ‰ auch ausschließen.

Ergänzender Hinweis dazu:
War ein Täter bei der Tatbegehung alkoholisiert oder ist dies nicht auszuschließen, muss der Tatrichter, sofern möglich, grundsätzlich die BAK zur Tatzeit errechnen.
Nach ständiger Rechtsprechung ist bei einem erwachsenen normalen Alkoholkonsumenten bei einer zur Tatzeit nicht ausschließbare BAK von 2 Promille an aufwärts, bei schweren Gewalthandlungen gegen Leib und Leben Anderer, bei denen es eine höhere Hemmschwelle zu überwinden gilt, ab 2,2 Promille stets die Möglichkeit von erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB ) und ab 3 Promille die Möglichkeit von Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB ) zu erörtern und zu prüfen. Ein Urteil, das in derartigen Fällen keine Feststellungen dazu enthält, hat in der Regel in der Revision keinen Bestand.

 

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