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Zu früh eingebrachtes Langzeitprovisorium – Grober zahnärztlicher Behandlungsfehler?

Eine zahnärztliche Behandlung, die nach einer Therapie mittels Protrusionsschienen provisorischen Zahnersatz verfrüht eingliedert, kann grob behandlungsfehlerhaft sein.

Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 06.06.2014 – 26 U 14/13 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte sich die seinerzeit 37 Jahre alte Klägerin 2003 wegen Zahn- und Kopfschmerzen in die Behandlung des beklagten Zahnarztes begeben. Dieser versorgte sie, um eine Kieferfehlstellung zu korrigieren, im Juli 2003 mit einer Protrusionsschiene.
Nachdem die Beschwerden der Klägerin zunächst nicht nachließen, entfernte der Beklagte im Oktober 2003 die bei der Klägerin vorhandenen Amalganfüllungen und schliff die Zähne für den geplanten Einsatz von Interimszahnersatz ab.
Ende Oktober 2003 setze er die Interimsbrücken ein.
In der Folgezeit verstärkten sich die Zahnschmerzen der Klägerin. Sie erlitt eine Knochenentzündung im Oberkiefer, die im November 2003 stationär behandelt werden musste.
Erst nach dem Entfernen der Provisorien des Beklagten verbesserte sich der Gesundheitszustand der Klägerin, bei zwischenzeitlich allerdings chronisch gewordenen Schmerzen.

Mit der Begründung, dem Beklagten sei als Behandlungsfehler anzulasten, dass er verfrüht von der Protrusionsschienentherapie auf die Eingliederung von provisorischem Zahnersatz übergegangen sei, verlangte die Klägerin von ihm Schadensersatz, u.a. ein Schmerzensgeld.

Das Schadensersatzbegehren war erfolgreich.

Wegen des Vorliegens von Behandlungsfehlern hat der 26. Zivilsenat des OLG Hamm gemäß den §§ 611, 280, 249 ff., 253 Abs.2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) u. a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 € zugesprochen.

Der Senat lastete dem Beklagten als groben Behandlungsfehler an, dass er die provisorische prothetische Versorgung in Angriff genommen hatte, obwohl die Position des Unterkiefers durch die Schienentherapie noch nicht hinreichend gesichert war.
Die mit einer Schienentherapie erreichte Position sei, nachdem die Verschiebung der Kieferposition auch aufgrund der muskulären Beteiligung ein dynamischer Prozess ist, erst dann als gesichert anzusehen, wenn der Patient mit ihr ein halbes Jahr beschwerdefrei gelebt habe. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall gewesen, sie habe noch Anfang September 2003 über Beschwerden geklagt.

Das Vorgehen des Beklagten bewertete der Senat als einen groben Behandlungsfehler, also um einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. etwa Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 03.07.2001 – VI ZR 418/99 ).
Insbesondere berücksichtigte der Senat dabei, dass die zu fordernde Zeit der Beschwerdefreiheit so deutlich unterschritten worden war, dass sich das Scheitern der Bemühungen geradezu aufdrängen musste.

Aufgrund dessen haftet der Beklagte für die bei der Klägerin eingetretenen Primärschäden einschließlich der Folgeerscheinungen, die Ausdruck dieser Primärschäden sind.
Den Gegenbeweis mangelnder Kausalität hatte der Beklagte nicht führen können.

 

Vertrag über Lieferung und Installation von Software – Zur Darlegung von Mängeln des Werks.

Ein Vertrag zwischen einem EDV- Handels- und Softwareentwicklungsunternehmen, welches sich auf den Einbau und die kundenspezifische Anpassung eines Warenwirtschaftssystems spezialisiert hat und einem Besteller, ist als Werkvertrag einzuordnen, wenn Gegenstand des Vertrages die Anpassung der Software des Unternehmens an die Bedürfnisse des Bestellers ist und die Schaffung von Schnittstellen zu dessen Online-Shops. Denn das EDV- Handels- und Softwareentwicklungsunternehmen schuldet damit die Herbeiführung eines vertraglich vereinbarten Erfolgs als Ergebnis einer individuellen Tätigkeit für den Besteller (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 25.03. 2010 – VII ZR 224/08 –).

Streiten die Parteien in einem solchen Fall darüber, ob das EDV- Handels- und Softwareentwicklungsunternehmen seinen Pflichten vollständig nachgekommen ist, insbesondere die Schnittstellen zu den Online-Portalen funktionieren, genügt der Besteller seiner Darlegungslast,

  • wenn er Mangelerscheinungen, die er der fehlerhaften Leistung des Unternehmens zuordnet, genau bezeichnet.
  • Zu den Ursachen der Mangelerscheinung muss der Besteller nicht vortragen.
  • Ob die Ursachen der Mangelerscheinung tatsächlich in einer vertragswidrigen Beschaffenheit der Leistung des Unternehmers zu suchen sind, ist Gegenstand des Beweises und nicht des Sachvortrags (BGH, Urteil vom 17.01.2002 – VII ZR 488/00 –).

Darauf hat der VII. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 05.06.2014 – VII ZR 276/13 – hingewiesen.

 

Crystal-Speed – Wirkung und Gefährlichkeit.

Bis Anfang der 90er Jahre kam Metamfetamin als illegale Droge in Europa nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Zwischenzeitlich hat sich Metamfetamin unter den Synomymen „Crystal“ oder „Ice“ auch hier etabliert. Im europäischen Raum wird es heute hauptsächlich in Laboren in Osteuropa hergestellt.
Die Herstellung ist aus gängigen Grundstoffen ohne großen technischen Aufwand in kleinen Laboren möglich.

Metamfetamin [chemische Bezeichnung: (2S)-N-Methyl-1- phenylpropan-2-amin] ist ein am Stickstoffarm der Seitenkette mit einer Methylgruppe versehenes Derivat des Amfetamins.
Durch Amfetamine wird der sympathische Teil des vegetativen Nervensystems aktiviert, d. h. die Konzentration der Botenstoffe im zentralen Nervensystem wird erhöht, was zu einem Gefühl des körperlichen Wohlbefindens, einer Antriebssteigerung, einer Hebung der Stimmung (Euphorie), Unterdrückung von Hungergefühl und von körperlicher Erschöpfung führt.
Nach dem Abklingen der Wirkung treten Effekte wie Verstimmung und Abgeschlagenheit auf.
Bei wiederholter Zufuhr gewöhnt sich der Körper an diese Stoffe, so dass die Dosis sehr schnell gesteigert werden muss.
Bei rasch aufeinander folgendem Konsum von Metamfetamin-Zubereitungen kommt es innerhalb weniger Stunden zu einer Toleranzentwicklung (Tachyphylaxie), wie sie vom LSD bekannt ist.
Metamfetamin überwindet aufgrund seiner chemischen Eigenschaften die Blut-Hirn-Schranke schneller als Amfetamin und führt somit zu einer stärkeren Aufputschwirkung, während sein Abbau andererseits verlangsamt ist, wobei wiederum Amfetamin als Abbauprodukt entsteht.

Nebenwirkungen und toxische Effekte treten bereits nach Konsum üblicher Dosen und verstärkt nach Inhalation, hoher Dosierung, Dauergebrauch und Mischkonsum auf.

Die bekannten akut toxischen Effekte sind

  • zentrale Erregung mit psychiatrischen und neurologischen Komplikationen wie von Todesangst, Schwindel und Übelkeit begleitete Panikattacken, halluzinatorische Zustände mit räumlicher Desorientierung, paranoide und/oder affektive Psychosen, akute depressive Episoden,
  • bei polytoxikomanen Konsumenten Intoxikationspsychosen mit Beziehungs- und Verfolgungswahn,
  • bei Überdosierung u. a. cerebrale Krampfanfälle, Hirninfarkte und generalisierte Angststörungen.
  • Außerdem gibt es toxische Effekte auf verschiedene Organsysteme wie das Herz-Kreislauf-System, Leber und Niere, das Gerinnungssystem und das hämatopoetische System (Blutkörperchen bildendes System).
  • Eine der am häufigsten beobachteten schwerwiegenden, akut lebensbedrohlichen Wirkungen ist die Entwicklung der Hyperthermie (starke Erhöhung der Körpertemperatur bis auf Werte um 42 bis 43° C) durch Beeinträchtigung der zentralen Thermoregulation im Gehirn, verbunden mit Dehydratation (Entwässerung), die nicht von der eingenommenen Dosis abhängt.
  • Die Wirkung wird verstärkt durch hohe Raumtemperaturen in Diskotheken und starke körperliche Belastung durch Tanzen.
    Als Folge kann es zum Kreislaufzusammenbruch und zum Hitzschlag kommen.
  • Als Komplikationen sind weiterhin belegt Störungen des Elektrolyt- und Wasserhaushaltes (z. B. Hyponatriämien, die zu Koma, Desorientierung und dystonen Bewegungsstörungen führen können), „Herzjagen“ (Tachykardie) bis hin zu tödlichen Herzrhythmusstörungen, Blutdrucksteigerungen mit der Folge fokaler Hirnblutungen, akutes Nierenversagen und/oder toxische Leberschädigungen, Lungenödem, Magen- und Darmgeschwüre, Gefäßspasmen und Auslösen von Migräneanfällen.
  • Nach inhalativem und nasalem Konsum kommt es wesentlich häufiger zur Ausbildung depressiver Verstimmungen mit Wahnvorstellungen, Anzeichen paranoider Schizophrenie und/oder Halluzinationen.

Besonders gefährlich wird der Konsum durch den Umstand, dass sich die noch einigermaßen sichere Dosierung für den Einzelnen nicht vorhersagen lässt, weil die aktuelle Verfassung des Einzelnen („Set“) und die jeweiligen Umgebungsbedingungen („Setting“) den Grad der Wirkungen beeinflussen.

Metamfetamin kann zu psychischer Abhängigkeit führen.

  • Die Gefahr einer schweren psychischen Abhängigkeitsentwicklung besteht insbesondere bei der Konsumform des Rauchens. Weil die ungewöhnlich starke und lang anhaltende (durchschnittlich zwölf Stunden) Wirkung des Metamfetamins beim Rauchen bereits bei wenigen Wiederholungen abflacht, muss der Konsument die Dosis stetig erhöhen.
  • Nach dem Rausch folgt eine stark depressive Phase, die neues Verlangen auslöst.
  • Auch leiden die Konsumenten unter starker Schlaflosigkeit. Das für den Metamfetaminmissbrauch typische Konsummuster der Stimulierung durch Metamfetamin und Herbeiführung von Entspannung zur Befriedigung des Schlafbedarfs durch Konsum von Haschisch oder Benzodiazepinen, die bei chronischem Missbrauch auch durch stärker sedierende Stoffe wie Heroin ersetzt werden, kann schließlich zur Polytoxikomanie führen.

Schon 3 mg Metamfetamin genügen, um auf die meisten Menschen anregend zu wirken. Orale Dosierungen über 20 mg können bei Nicht- Gewöhnten bereits erhebliche Nebenwirkungen psychischer und vegetativer Art auslösen.
Von Landeskriminalämtern in den letzten Jahren sichergestellte Metamfetamintabletten enthielten zwischen 25 und 60 mg Metamfetaminhydrochlorid (20 bis 48 mg Metamfetamin-Base) pro Tablette, durchschnittlich 26 bis 30 mg Metamfetaminhydrochlorid (21 bis 24 mg Metamfetamin-Base).
Während bei der oralen Aufnahme nur ein Teil der aufgenommenen Dosis das Gehirn erreicht, kommt es bei venöser Injektion und noch mehr bei Inhalation/Rauchen zur schnellen Aufnahme hoher Drogenanteile ins Gehirn, so dass eine ungewöhnlich starke Rauschwirkung erzielt wird.

Darauf hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 03.12.2008 – 2 StR 86/08 – hingewiesen.

 

Befristeter Verzicht des Schuldners auf die Erhebung der Verjährungseinrede – Reichweite?

Ein befristeter Verzicht des Schuldners auf die Erhebung der Verjährungseinrede soll

  • dem Gläubiger im Zweifel nur die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs vor Ablauf der Verzichtsfrist ermöglichen und
  • ihn nicht so stellen, dass sämtliche während der Verzichtsfrist auftretende Tatbestände für eine Hemmung oder einen Neubeginn der Verjährung sich auch auf den Lauf der Verzichtsfrist auswirken.

Darauf hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 07.05.2014 – XII ZB 141/13 – hingewiesen.

Danach wird durch einen vom Schuldner erklärten befristeten Verjährungsverzicht der Ablauf der Verjährung zwar nicht beeinflusst.
Folge des Verzichts ist jedoch, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, für den genannten Zeitraum ausgeschlossen ist.
Die Reichweite des Verjährungsverzichts ist durch Auslegung der Verzichtserklärung zu ermitteln. Diese hat regelmäßig zum Inhalt, dass der Schuldner bis zum Ablauf der von ihm eingeräumten Frist die Einrede der Verjährung nicht erheben wird.
Da der Verzicht den Gläubiger von der Notwendigkeit der alsbaldigen gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs entheben soll, bleibt er auch nach Ablauf der vom Schuldner eingeräumten Frist wirksam, wenn der Gläubiger die Streitsache vor Ablauf der Frist rechtshängig macht, wobei die Zustellung des Antrags in entsprechender Anwendung des § 167 ZPO auf den Eingang des Antrags zurückwirkt (vgl. BGH Urteil vom 16.03.2009 – II ZR 32/08 –).

Dagegen lässt sich die weitergehende Annahme, der Schuldner wolle den Gläubiger allgemein so stellen, als würde die Verjährung erst mit dem Ablauf der Verzichtsfrist eintreten, nicht ohne weiteres rechtfertigen.
Denn dies müsste bereits dazu führen, dass bei einem etwa wegen beabsichtigter Verhandlungen erklärten Verzicht die eingeräumte Verzichtsfrist sich sogleich mit Beginn der Verhandlungen entsprechend § 203 BGB auf nicht absehbare Zeit verlängern würde. Ein derart umfassender Verzichtswille kann dem Schuldner in Anbetracht der genau bestimmten Frist regelmäßig nicht unterstellt werden und findet auch aus der Sicht des Gläubigers als Erklärungsempfänger keine Rechtfertigung.
Der Gläubiger ist daher bei bevorstehendem Ablauf der Frist abgesehen von einer möglichen Fristverlängerung durch den Schuldner gehalten, den Anspruch noch innerhalb der eingeräumten Frist gerichtlich geltend zu machen.

Die Annahme eines weitergehenden Verzichts bedarf besonderer Anhaltspunkte, die einen über die Ermöglichung der gerichtlichen Geltendmachung hinausgehenden Verzichtswillen des Schuldners erkennen lassen.
Das schließt es freilich nicht aus, dass die Reichweite des Einredeverzichts durch weitere Erklärungen des Schuldners verändert wird. 

 

Zum stillschweigenden Vertragsschluss bei Stromverbrauch.

Ist ein Stromversorgungsvertrag nicht abgeschlossen und wird aus dem Verteilungsnetz eines Versorgungsunternehmens Elektrizität entnommen, kommt zwischen dem der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt und dem Energieversorgungsunternehmen ein Energieversorgungsvertrag zustande.
Denn die Realofferte des Energieversorgungsunternehmens richtet sich typischerweise immer an denjenigen, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt. Dieser ist als der Adressat des Vertragsangebots anzusehen. Indem er Strom verbraucht, nimmt er aus objektiver Sicht des Energieversorgungsunternehmens die an ihn gerichtete Realofferte konkludent an.
Der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt Ausübende ist, wenn ein mit Strom versorgtes Grundstück verpachtet ist, der den Strom verbrauchende Pächter und nicht der Grundstückseigentümer.

Dass durch die Entnahme von Energie ein Energieversorgungsvertrag zwischen dem Energieversorgungsunternehmen und dem Grundstückspächter und nicht dem Grundstückseigentümer zustande gekommen ist, hat, wie die Pressestelle des Bundesgerichtshofs (BGH) am 02.07.2014 mitteilte, der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 02.07,2014 – VIII ZR 316/13 – in einem Fall entschieden, in dem

  • ein Eigentümer ein am 29.01.2007 erworbenes Grundstück am 02.02.2007 an seinen Sohn verpachtet und
  • dieser in der Folgezeit erhebliche Mengen an Strom verbraucht hatte, ohne dass ein (schriftlicher) Stromversorgungsvertrag abgeschlossen worden war.

Nach dieser Entscheidung soll selbst dann, wenn durch den Grundstückseigentümer in dem kurzen Zeitraum von wenigen Tagen zwischen Eigentumserwerb und Übergabe des Grundstücks an den Pächter eine ganz geringfügige Energieentnahme erfolgt ist, keine andere Beurteilung gerechtfertigt sein. Denn unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen an stabilen Vertragsbeziehungen, deren Parteien mit angemessenem Aufwand zu ermitteln sind, sollen kurzfristige und geringfügige Energieentnahmen bei der Feststellung der Vertragsparteien nach Auffassung des VIII. Zivilsenats des BGH zu vernachlässigen sein.

Darauf, dass Vertragspartner des Versorgungsunternehmens wird, wer auf Grund seiner Verfügungsmacht über den Versorgungsanschluss die Leistung entgegennimmt, hat auch schon der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg mit Urteil vom 23.05.2014 – 2 U 2401/12 – hingewiesen.

 

Ein unberechtigt auf einem privaten Grundstück abgestelltes Fahrzeug darf abgeschleppt werden – Unangemessen hohe Abschleppkosten müssen allerdings nicht erstattet werden.

Das unberechtigte Abstellen von Fahrzeugen auf einem als solchen gekennzeichneten Kundenparkplatz stellt eine Besitzstörung bzw. eine teilweise Besitzentziehung dar. Diese darf der Besitzer der Parkflächen im Wege der Selbsthilfe beenden, indem er das Fahrzeug abschleppen lässt.

  • Hiermit kann der Besitzer der Parkfläche schon im Vorfeld eines Parkverstoßes ein darauf spezialisiertes Unternehmen beauftragen.

Die durch den konkreten Abschleppvorgang entstandenen Kosten muss der Falschparker erstatten, soweit sie in einem adäquaten Zusammenhang mit dem Parkverstoß stehen.

Zu den erstattungsfähigen Kosten gehören

  • nicht nur die reinen Abschleppkosten, sondern auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Abschleppvorgangs entstanden sind, etwa
    • durch die Überprüfung des unberechtigt abgestellten Fahrzeugs, um den Halter ausfindig zu machen,
    • das Anfordern eines geeigneten Abschleppfahrzeugs,
    • das Prüfen des Fahrzeugs auf Sicherung gegen unbefugtes Benutzen, dessen Besichtigung von Inneren und Außen und die Protokollierung etwa vorhandener Schäden.

Nicht zu erstatten sind hingegen

  • die Kosten für die Bearbeitung und außergerichtliche Abwicklung des Schadensersatzanspruchs des Besitzers, weil sie nicht unmittelbar der Beseitigung der Störung dienen sowie
  • die Kosten für die Überwachung der Parkflächen im Hinblick auf unberechtigtes Parken, weil sie unabhängig von dem konkreten Parkverstoß entstehen und ihnen der Bezug zu dem konkreten Parkverstoß fehlt.

Unangemessen hohe Abschleppkosten muss der Falschparker dem Besitzer der Parkfläche allerdings nicht erstatten.
Die Ersatzpflicht des Falschparkers wird durch das Wirtschaftlichkeitsgebot begrenzt. Er hat nur diejenigen Aufwendungen zu erstatten, die ein verständiger und wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Besitzers der Parkflächen machen würde.
Maßgeblich ist, wie hoch die ortsüblichen Kosten für das Abschleppen und die unmittelbar mit der Vorbereitung des Abschleppvorgangs verbundenen Dienstleistungen sind.
Regionale Unterschiede sind dabei zu berücksichtigen.
Im Streitfall muss die Frage der Angemessenheit vom Gericht durch Preisvergleich, notfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden.

Beachtet werden muss, dass

  • dem Besitzer der Parkfläche an dem abgeschleppten Fahrzeug ein Zurückbehaltungsrecht zusteht solange der Falschparker den geschuldeten Schadensersatzbetrag weder bezahlt noch hinterlegt hat,
  • der Besitzer der Parkfläche sich deshalb, solange der Falschparker den geschuldeten Schadensersatzbetrag weder bezahlt noch hinterlegt hat, mit der Fahrzeugrückgabe auch nicht in Verzug befindet und

einem Falschparker, der einen Rechtsanwalt beauftragt, bevor sich der Besitzer der Parkfläche mit der Fahrzeugrückgabe in Verzug befindet, demzufolge ein Anspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht zusteht.

Das hat, wie die Pressestelle des Bundesgerichtshofs (BGH) am 04.07.2014 – Nr. 108/2014 – mitteilte, der u.a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Besitz und Eigentum an Grundstücken zuständige V. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 04.07.2014 – V ZR 229/13 – entschieden.

 

Haftpflichtversicherung – Irrtümliches Fällen von auf fremdem Grund stehenden Bäumen von der Haftpflichtversicherung gedeckt?

Fällt ein haftpflichtversicherter Grundstückseigentümer irrtümlich auf fremdem Grund stehende Bäume ist das von seiner Haftpflichtversicherung gedeckt. Der Haftpflichtversicherer muss in solchen Fällen, sofern der Versicherte nicht vorsätzlich gehandelt hat, sondern irrtümlich davon ausgegangen ist, dass die Bäume auf seinem Grundstück standen, den verursachten Schaden übernehmen.

Das hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg mit Urteil vom 14.05.2014 – 5 U 25/14 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte ein Grundstückseigentümer auf Bitte seines Pächters mehrere Bäume gefällt, weil diese die Bewirtschaftung des Grundstücks behinderten. Er ging dabei davon aus, dass die Bäume auf seinem Grundstück standen. Tatsächlich stand ein Teil davon auf öffentlichem Grund.

Der 5. Zivilsenat des OLG Oldenburg stellte fest, dass sich bei dem Fällen der Bäume auf einem fremden Grundstück ein Risiko des täglichen Lebens verwirklicht. Weil der Versicherte nicht vorsätzlich die falschen Bäume gefällt habe, sei die Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers auch nicht ausgeschlossen.
Darüber hinaus gehöre das Risiko des Fällens fremder Bäume weder zu einer Grundbesitzer-, noch zu einer Betriebshaftpflichtversicherung. Die Fällungen seien auf Wunsch des Pächters ausgeführt worden, stünden aber sonst mit der Verpachtung in keinem Zusammenhang. Im Übrigen sei der Schaden nicht durch die Arbeiten auf dem Grundstück des Versicherten entstanden, sondern weil dieser auf einem fremden Grundstück tätig geworden war.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Oldenburg am 03.07.2014 mitgeteilt.

Ob ein Versicherungsnehmer in einem konkreten Einzelfall Versicherungsschutz genießt oder nicht, vermag ein Laie oft nicht zu beurteilen. Es kann deshalb empfehlenswert sein die Beratung eines Rechtsanwalts, insbesondere eines Anwalts der gleichzeitig die Qualifikation „Fachanwalt für Versicherungsrecht“ hat, in Anspruch zu nehmen. 

 

Mietverhältnis über Gewerberaum – Kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis allein durch den vorbehaltlosen Ausgleich einer Nebenkostenabrechnung.

Bei einem Mietverhältnis über Gewerberaum rechtfertigt allein die Übersendung der Betriebskostenabrechnung und der vorbehaltlose Ausgleich einer sich daraus ergebenden Nachforderung durch den Mieter nicht die Annahme eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses, das einer nachträglichen Korrektur der Betriebskostenabrechnung entgegensteht.

Darauf hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in seinen Urteilen vom 10.07.2013 – XII ZR 62/12 – und vom 28.05.2014 – XII ZR 6/13 – hingewiesen.

Wie der XII. Zivilsenat ausgeführt hat, kann zwar auch ein konkludentes Verhalten der Mietvertragsparteien ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis begründen. Allerdings setzt die Wertung einer rechtsgeschäftlichen Erklärung als Angebot zum Abschluss eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses regelmäßig voraus, dass die Vertragsparteien das Schuldverhältnis ganz oder teilweise dem Streit oder der Ungewissheit der Parteien entziehen und sich dahingehend einigen wollen.
Mit der Übersendung der Betriebskostenabrechnung gibt der Vermieter aber aus der maßgeblichen Sicht des Mieters (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) keine auf den Abschluss eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses gerichtete Willenserklärung ab.
Die Betriebskostenabrechnung ist eine reine Wissenserklärung ohne rechtsgeschäftlichen Bindungswillen (BGH, Urteil vom 28.04.2010 – VIII ZR 263/09 –).
Auch der Mieter, der eine Betriebskostennachforderung vorbehaltlos erfüllt, erbringt damit eine reine Erfüllungshandlung, ohne dass daraus geschlossen werden kann, er erkenne den Abrechnungssaldo endgültig für verbindlich an.

Auch wenn allein durch den vorbehaltlosen Ausgleich einer Nebenkostenabrechnung noch nicht auf ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis geschlossen werden kann, bleibt es den Mietvertragsparteien jedoch unbenommen, im Einzelfall hinsichtlich des Saldos aus der Betriebskostenabrechnung ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis abzuschließen und damit den Saldo für beide Seiten für verbindlich zu erklären.
Sofern die Parteien hierzu keine ausdrückliche Vereinbarung treffen, bedarf es für die Annahme eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses allerdings – neben der bloßen Übersendung der Nebenkostenabrechnung und dem Ausgleich des Saldos – weiterer Umstände, aus denen auf einen entsprechenden Rechtsbindungswillen der Mietvertragsparteien geschlossen werden kann.
Die Vereinbarung eines deklaratorischen Schuldverhältnisses kann danach in Betracht kommen, wenn die Parteien zunächst über einzelne Positionen der Betriebskostenabrechnung gestritten haben und dann der Saldo von einer der beiden Vertragsparteien ausgeglichen wurde oder wenn die Parteien eine Ratenzahlungs- bzw. Stundungsvereinbarung getroffen haben.

 

Geschäftspartner des Senders einer Gewinnzusage muss 20.000 € zahlen.

Der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg hat mit Urteil vom 27.06.2014 – 11 U 23/11 – einer Klägerin 20.000 € aus einer Gewinnzusage zugesprochen und den Beklagten als Sender der Gewinnzusage zur Zahlung verurteilt.

Danach kann Sender einer Gewinnzusage i. S. v. § 661a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auch der Geschäftspartner eines Postfachbetreibers sein, der Verbrauchern unter nicht existierenden Firmen Gewinnmitteilungen zukommen lässt.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte die Klägerin ein Schreiben mit der Überschrift „Großes Deutschland Rätsel“ erhalten. Absender war eine Firma „Buchungszentrumwest“ mit einer Postfachanschrift. In dem Schreiben hieß es auszugsweise:
„Sie sind ein Gewinner Frau (es folgt der Name der Klägerin)…“.
Neben dem Namen befand sich unter der Kategorie „Preise“ der Satz „3. Preis: 20 x 1.000,- € Bargeld“. 
Tatsächlich existierte die Firma „Buchungszentrumwest“ nicht. Das Postfach wurde durch eine dritte Person betrieben.
Die Klägerin wandte sich zunächst an den Betreiber des Postfachs und seine Tochter, die das Postfach regelmäßig geleert hatte.
Nachdem bei diesen Personen aber eine Vollstreckung aussichtslos erschien, richtete sie ihre Forderung gegen den Geschäftspartner des Betreibers. Dieser verweigerte eine Auszahlung des Geldes.

Der 11. Zivilsenat des OLG Oldenburg Senat verpflichtete den Geschäftspartner des Postfachbetreibers zur Zahlung von 20.000 €.
Er sah in dem der Klägerin zugesandten Schreiben eine Gewinnzusage im Sinne des § 661a BGB, weil die Mitteilung geeignet war bei einem durchschnittlich informierten Empfänger den Eindruck zu erwecken, er werde einen – bereits gewonnenen – Preis erhalten.
Der beklagte Geschäftspartner des Postfachbetreibers hatte, so das Ergebnis der Beweisaufnahme, mit dem Betreiber des Postfachs zusammengearbeitet, die Adressen geliefert und die Gewinnzusagen und Einladungsschreiben eingetütet.
Dies war nach Auffassung des Senats ausreichend, um ihn als Handelnden neben dem Postfachbetreiber aus der Gewinnzusage zu verpflichten.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Oldenburg am 04.07.2014 mitgeteilt.

 

Welche Rechte hat ein Eigentümer der die Inanspruchnahme seines Grundstücks durch einen Nachbarn jahrzehntelang gestattet hat?

Ein Eigentümer, der die Inanspruchnahme seines Grundstücks durch einen Nachbarn (hier: durch unterirdisch verlegte Stromleitungen) jahrzehntelang gestattet hat, verliert hierdurch nicht das Recht, die Gestattung zu widerrufen und anschließend seine Ansprüche aus § 1004 BGB geltend zu machen.

Darauf hat der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 16.05.2014 – V ZR 181/13 – hingewiesen.

Der Eigentümer ist nicht deshalb, weil er seinen Anspruch auf Beseitigung einer Beeinträchtigung nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gegenüber dem Störer wegen des Eintritts der Verjährung nicht mehr durchzusetzen vermag, die Störung auch in Zukunft hinnehmen muss.
Die Verjährung des Beseitigungsanspruchs begründet kein Recht des Störers auf Duldung nach § 1004 Abs. 2 BGB.
Der Eigentümer ist vielmehr auf Grund seiner Befugnisse aus § 903 Satz 1 BGB berechtigt, die Beeinträchtigung seines Eigentums durch Entfernung des störenden Gegenstands von seinem Grundstück selbst zu beseitigen (BGH, Urteile vom 28.01.2011 – V ZR 141/10 – und – V ZR 147/10 –). Er kann deshalb in einem solchen Fall Klage erheben mit dem Antrag, festzustellen, dass er berechtigt ist …….. (hier: die in seinem Grundstück befindlichen, der Stromversorgung der Grundstücke des Nachbarn dienenden Kabel selbst zu beseitigen).

Anders ist es allerdings, wenn der Eigentümer nach § 1004 Abs. 2 BGB verpflichtet ist, die Beeinträchtigung zu dulden. Die Störung stellt sich dann nicht als eine Verletzung der Eigentümerrechte dar.
Eine Duldungspflicht im Sinne des § 1004 Abs. 2 BGB schließt daher nicht nur den Abwehranspruch gegen den Störer, sondern auch das Recht des Eigentümers aus, die Störung selbst auf eigene Kosten zu beseitigen.

Dulden muss der Eigentümer die Störung

Schließlich darf das Recht des Eigentümers, die Störung ihres Eigentums durch die Leitungen selbst zu beseitigen, nicht verwirkt sein.