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Wann ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs schlüssig und erheblich?

Von einer Beweiserhebung darf grundsätzlich nicht bereits deswegen abgesehen werden, weil die beweisbelastete Partei keine schlüssige Erklärung dafür liefert, weshalb eine von ihr behauptete Absprache zu einer schriftlich getroffenen Abrede keinen Eingang in den schriftlichen Vertrag gefunden hat.

Darauf hat der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 11.11.2014 – VIII ZR 302/13 – (zum wiederholten Mal) hingewiesen.

  • Danach gehört es zwar zu den anerkannten Grundsätzen für die – an sich dem Tatrichter vorbehaltene – Auslegung einer Individualvereinbarung, dass der Wortlaut der Vereinbarung den Ausgangspunkt einer nach §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vorzunehmenden Auslegung bildet.
  • Gleichzeitig gilt hierbei aber auch, dass ein übereinstimmender Parteiwille dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation vorgeht, selbst wenn er im Inhalt der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat (BGH, Beschlüsse vom 05.04.2005 – VIII ZR 160/04 –; vom 20.09.2006 – VIII ZR 141/05 –; vom 06.03.2007 – X ZR 58/06 –; vom 30.04.2014 – XII ZR 124/12 –).

Schon wegen dieses Vorrangs eines übereinstimmenden Parteiwillens darf ein entsprechender Sachvortrag nicht als unbeachtlich übergangen werden.

Auch dass für die über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunden die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit besteht, führt

  • lediglich dazu, dass eine Partei, die sich auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände – sei es zum Nachweis eines vom Urkundstext abweichenden übereinstimmenden Willens der Parteien, sei es zum Zwecke der Deutung des Inhalts des Beurkundeten aus Sicht des Erklärungsempfängers – beruft, die Beweislast für deren Vorliegen trifft (BGH, Urteil vom 05.07.2002 – V ZR 143/01 –),
  • nicht aber dazu, dass die beweisbelastete Partei über die Darlegung des tatsächlich Gewollten zusätzlich noch nachvollziehbar und schlüssig erläutern muss, aus welchen Umständen sich die Unvollständigkeit der Urkunde erklären lässt, warum die Parteien also von einer schriftlichen Fixierung der mündlichen Nebenabrede abgesehen haben (BGH, Beschlüsse vom 25.10.2011 – VIII ZR 125/11 – und vom 21.10.2014 – VIII ZR 34/14 –)

Derart weitgehende Darlegungsnotwendigkeiten finden im Prozessrecht keine Stütze mehr und überspannen die an einen rechtlich beachtlichen Sachvortrag zu stellenden Substantiierungsanforderungen in einer nicht mit Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Einklang stehenden Weise.

  • Ein Sachvortrag ist zur Begründung eines Anspruchs bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen, wobei unerheblich ist, wie wahrscheinlich diese Darstellung ist.
  • Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind.
  • Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen.
  • Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen.
  • Dagegen ist die Frage, ob ein Sachvortrag wahrscheinlich oder angesichts der Urkundenlage eher unwahrscheinlich ist, für die Erheblichkeit und damit die Beweisbedürftigkeit des Vorbringens ohne Belang (BGH, Beschlüsse vom 11.05.2010 – VIII ZR 212/07 –; vom 12.03.2013 – VIII ZR 179/12 –).

Dementsprechend darf bei einem Parteivortrag zu Umständen, die in einer Vertragsurkunde keinen oder nur undeutlichen Niederschl     ag gefunden haben, nicht zusätzlich zur Darlegung einer Willensübereinstimmung bei Vertragsschluss noch eine Erklärung dafür gefordert werden, weshalb die Parteien davon abgesehen haben, eine behauptete mündliche (Neben-) Abrede in die Vertragsurkunde aufzunehmen (BGH, Beschlüsse vom 25.10.2011 – VIII ZR 125/11 –; vom 21.10.2014 – VIII ZR 34/14 –).

 

Wenn die Substanz oder die Nutzung des Gemeinschaftseigentums beeinträchtigt oder gestört wird.

Wird die Substanz oder die Nutzung des Gemeinschaftseigentums beeinträchtigt, stehen darauf bezogene Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche im Grundsatz den einzelnen Wohnungseigentümern zu und können durch diese vor Gericht geltend gemacht werden.
Gleichwohl sind solche Ansprüche gemeinschaftsbezogen.
Die Wohnungseigentümer können deshalb beschließen, dass sie gemeinschaftlich geltend gemacht werden sollen und dazu beispielsweise folgenden Beschluss fassen:
„Die Wohnungseigentümer beschließen, dass die ihnen aus ihrem Eigentum zustehenden Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche wegen ……………… durch ………………., gemeinschaftlich durch den Verband (…) geltend gemacht werden sollen. Die Verwaltung wird beauftragt, einen Rechtsanwalt mit der gerichtlichen Durchsetzung der Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche zu den üblichen Rechtsanwaltsgebühren zu beauftragen.

Hierdurch wird dann eine alleinige Zuständigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft begründet, die die einzelnen Wohnungseigentümer von der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs ausschließt.

  • Das bedeutet, wenn und sobald die Wohnungseigentümer mehrheitlich beschlossen haben, dass ihre Ansprüche gemeinschaftlich geltend gemacht werden sollen, ist eine individuelle Rechtsverfolgung nicht mehr möglich.
  • Eine von einem einzelnen Wohnungseigentümer gegen den Störer erhobene Klage ist bzw. wird dadurch unzulässig, auch wenn vor der Einleitung dieses Verfahrens die Wohnungseigentümergemeinschaft noch nicht gegen den Störer vorgegangen war.

Ein entscheidender Gesichtspunkt ist insoweit, dass die Ausübungsbefugnis des Verbands dem Willen der Mehrheit entspricht.
Unterlassungsansprüche können auf unterschiedliche Weise durchgesetzt werden, etwa indem – als milderes Mittel – nur die Einhaltung bestimmter Auflagen verlangt wird. Dem Verband obliegt es von der Beschlussfassung an, die mehrheitlich gewollte Lösung durchzusetzen. Dies schützt auch den Schuldner vor einer mehrfachen Inanspruchnahme mit möglicherweise unterschiedlicher Zielsetzung.

  • Setzt die Wohnungseigentümergemeinschaft den gefassten Beschluss nicht um, kann ein einzelner Wohnungseigentümer im Innenverhältnis verlangen, dass sie Klage einreicht.
  • Eine eigene Klage kann ein einzelner Wohnungseigentümer in einem solchen Fall nur erheben, wenn die Störung sein Sondereigentum unmittelbar beeinträchtigt und dieses nicht nur indirekt betroffen wird, wie beispielsweise durch negative Auswirkungen auf den Verkehrswert und/oder die Vermietbarkeit.

Das hat – wie die Pressestelle des Bundesgerichtshofs (BGH) am 05.12.2014 – Nr. 182/2014 – mitteilte – der unter anderem für das Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 05.12.2014 – V ZR 5/14 – entschieden und damit die vorinstanzlichen Entscheidungen des Amtsgerichts (AG) Nürnberg sowie des Landgerichts (LG) Nürnberg-Fürth bestätigt.

 

Kein Anspruch der Eltern auf Kostenerstattung für benötigten Taschenrechner im Schulunterricht.

Eltern, die über die Schule ihrer Kinder für den Unterricht benötigte Taschenrechner bereits bestellt und bezahlt haben, haben keinen Anspruch auf die Erstattung dieser Auslagen durch den öffentlichen Schulträger.

Das hat der 2. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) Bautzen mit Urteil vom 02.12.2014 – 2 A 281/13 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte ein Vater, nachdem er für seine Tochter auf Anraten der Schule einen Taschenrechner zu einem Preis von 89 Euro angeschafft, das Geld dafür bar bei der Schule eingezahlt hatte und die Rechner für alle Schüler der Klasse über die Schule in einer Sammelbestellung gekauft worden waren, gegen den Schulträger auf Erstattung der 89 Euro geklagt.

Das OVG Bautzen wies die Klage ab.

Danach gibt es für den geltend gemachten Erstattungsanspruch keine Rechtsgrundlage.
Zwar dürfte, wie das OVG Bautzen ausgeführt hat, viel dafür sprechen, dass der Taschenrechner, dessen Gebrauch im Unterricht, bei Hausaufgaben und in Klassenarbeiten im einschlägigen Lehrplan vorgesehen ist, unter die in Art. 102 Abs. 4 der Sächsischen Verfassung garantierte Lernmittelfreiheit falle.
Sobald Eltern jedoch einen solchen Rechner bestellten und bezahlten, gebe es keine vom Gesetz vorgesehene Anspruchsgrundlage dafür, vom Schulträger eine Erstattung der Auslagen zu verlangen. Weder die Voraussetzungen für eine Geschäftsbesorgung ohne Auftrag noch für einen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch seien erfüllt.
Eltern, die der Meinung seien, dass eine von der Schule vorgeschlagene Anschaffung von der Lernmittelfreiheit umfasst sei, müssten diese Anschaffung vielmehr – notfalls gerichtlich – vom Schulträger einfordern.

Das hat die Pressestelle des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts am 03.12.2014 mitgeteilt.

 

Wenn von Schwiegereltern Schenkungen nach Scheitern der Ehe des eigenen Kindes zurückgefordert werden.

Erfolgt eine Schwiegerelternschenkung, beispielsweise die Schenkung eines Grundstücks, unter der für das Schwiegerkind erkennbaren Vorstellung, dass die Ehe fortbesteht und daher die Schenkung auch dem eigenen Kind dauerhaft zugutekommt, kann das Scheitern der Ehe nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) zu einer Rückabwicklung der Schenkung führen.

  • Als weitere Voraussetzung muss allerdings hinzukommen, dass ein Festhalten an der Schenkung für die Schwiegereltern unzumutbar ist.
  • Auch wenn dies der Fall ist, kann in der Regel nur ein Ausgleich in Geld verlangt werden.
  • Nur in seltenen Ausnahmefällen wird die Vertragsanpassung dazu führen, dass der zugewendete Gegenstand zurück zu gewähren ist.

Eine Rückgewähr des geschenkten Gegenstandes löst dann aber – von den Fällen kurzer Ehedauer abgesehen – im Gegenzug einen angemessenen Ausgleich in Geld aus.
In Betracht kommt eine solche Rückgewähr bei nicht teilbaren Gegenständen wie Hausgrundstücken oder Miteigentumsanteilen insbesondere dann, wenn die Schwiegereltern sich ein Wohnungsrecht vorbehalten haben, das durch das Scheitern der Ehe gefährdet wird.
Ein solcher Rückübertragungsanspruch verjährt nicht nach § 195 BGB in drei Jahren, sondern gemäß § 196 BGB in 10 Jahren.
Denn die wegen Störung der Geschäftsgrundlage vorzunehmende Vertragsanpassung einer Grundstücksschenkung von Schwiegereltern ist grundstücksbezogen und richtet sich daher – wie aus dem Gesetzeszweck und der Gesetzgebungsgeschichte folgt – nach § 196 BGB und dieser sieht für Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück sowie die Ansprüche auf Gegenleistung eine zehnjährige Verjährungsfrist vor.

Das hat, wie die Pressestelle des Bundesgerichtshofs (BGH) am 04.12.2014 – Nr. 180/2014 – mitteilte, der unter anderem für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 03.12.2014 – XII ZB 181/13 – entschieden.

 

Hausärztin muss an eine Patientin 22.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Weil eine Hausärztin die von einer Patientin geschilderten Schmerzen im unteren Rücken und in der linken Gesäßhälfte unzureichend untersucht hatte und die Patientin 3 Tage später aufgrund einer Gewebeentzündung im Gesäßbereich (Entzündung des perirektalen und perianalen Fettgewebes) mit Verdacht auf eine bakterielle Infektionskrankheit der Unterhaut und Faszien (nekrotisierende Fasziitis) notfallmäßig operiert werden musste, muss die Hausärztin ihrer Patientin 22.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 31.10.2014 – 26 U 173/13 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall haftete die beklagte Ärztin, die bei der Klägerin Ischiasbeschwerden diagnostiziert, ihr eine Spritze verabreicht und ein Schmerzmittel verordnet hatte,

  • wegen eines Befunderhebungsfehlers,
  • weil sie den Ursachen der ihr von der Klägerin geschilderten Beschwerden nicht ausreichend nachgegangen war.

Die Ärztin hatte es versäumt, auch die Analregion der Klägerin zu untersuchen.
Auf ihre Anfangsdiagnose hätte sie sich nicht verlassen dürfen, sondern auch die Möglichkeit von Erkrankungen mit schwerwiegenden Folgen berücksichtigen müssen.
Nach den Feststellungen 26. Zivilsenat des OLG Hamm hätte die Beklagte den mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bei der Klägerin schon vorhandenen periproktitischen Abszess ertasten können und müssen. Jedenfalls wäre dieser, wenn die Beklagte eine digital-rektale Untersuchung veranlasst hätte, dabei nachweisbar gewesen.

Dieser, der Beklagten anzulastende Befunderhebungsfehler, rechtfertigte eine Beweislastumkehr.
Eine solche Beweislastumkehr ist auch bei einem einfachen Befunderhebungsfehler gerechtfertigt, wenn die unterlassene Befunderhebung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einem reaktionspflichtigen Befund geführt hätte und sich die Verkennung des Befundes oder das Verhalten des Arztes auf der Basis dieses Ergebnisses als grob fehlerhaft darstellen würde.
Das war hier der Fall, weil es sich angesichts der drohenden Folgen um einen reaktionspflichtiges Ereignis handelte. Ein Verkennen eines periproktitischer Abszesses, dessen Erkennen schon zum studentischen Standard gehört, insbesondere aber ein Untätigbleiben wäre angesichts drohender Gefahren bis hin zur Lebensgefahr als grober Behandlungsfehler zu werten, weil eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen würde und dieser Fehler aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheinen würde, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Deshalb haftete die Beklagte grundsätzlich für alle primären Folgen der Rechtsgutverletzung.
Rechtsgutsverletzung (Primärschaden), auf die sich die haftungsbegründende Kausalität ausrichtet, ist dabei nicht die nicht rechtzeitige Erkennung einer bereits vorhandenen behandlungsbedürftigen Gesundheitsbeeinträchtigung.
Die geltend gemachte Körperverletzung (Primärschaden) ist vielmehr in der durch den Behandlungsfehler herbeigeführten gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung zu sehen. Das heißt, Primärschaden ist vorliegend die gesamte gesundheitliche Befindlichkeit der Klägerin, die dadurch entstanden ist, dass auf die Abszessbildung nicht sogleich reagiert worden ist.
Eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite wäre nur ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. etwa Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 16.11.2004 – VI ZR 328/03 –).
Das war aber nicht der Fall.
Zwar wäre eine Operation unumgänglich gewesen ist. Wegen des anzunehmenden fulminanten Verlaufs war aber zumindest nicht auszuschließen, dass

  • das Operationsgebiet und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen bei einer 3 Tage früheren Operation deutlich kleiner gewesen wären und
  • möglicherweise dann auch der Schließmuskel, von dem bei der Notoperation ein Teil entfernt werden musste, nicht beeinträchtigt und die Klägerin in vollem Umfang geheilt worden wäre.

Einem Hartz IV-Empfänger, der im Jobcenter Mitarbeiter beschimpft, kann Hausverbot erteilt werden.

Einem Hartz IV-Empfänger kann bereits bei erstmaliger Störung des Hausfriedens ein befristetes Hausverbot erteilt werden.

Das hat das Sozialgericht (SG) Heilbronn mit Urteil vom 19.11.2014 – S 10 AS 3793/14 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte das Jobcenter einer 30-jährigen Hartz IV-Empfängerin ein auf zweimonatiges Hausverbot erteilt und dessen Sofortvollzug angeordnet, weil diese, als sie bei einem Besuch ohne vorherige Terminabsprache im Wartebereich Platz nehmen sollte, äußerst ungehalten geworden war und zu einem  hinzugerufenen Sicherheitsmann gerufen hatte: „Was möchtest du, du Möchtegernglatzkopf?“  

Ihr Begehren, die aufschiebende Wirkung ihres gegen das Hausverbot eingelegten Widerspruchs wiederherzustellen (vgl. §§ 86a, 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG)), lehnte das SG Heilbronn ab.

Nach dieser Entscheidung muss eine Behörde zwar auch mit schwierigen Besuchern zurechtkommen und diese ihr Anliegen ungehindert vortragen lassen.
Vorliegend habe die Betroffene aber Dienstablauf und Hausfrieden durch ihr rücksichtsloses Verhalten nachhaltig gestört.
Das Hausverbot habe hier eine Warnfunktion, derartiges Verhalten bereits vom ersten Vorfall an nicht zu dulden. Es sei auch verhältnismäßig, weil es auf knapp zwei Monate befristet sei und die Betroffene sich weiterhin schriftlich und telefonisch an ihren Sachbearbeiter wenden könne.

Das hat die Pressestelle des Sozialgerichts Heilbronn am 26.11.2014 mitgeteilt.

 

Wenn einem Mieter in einem Wohnraummietvertrag ein Zahlungsanspruch für selbst ausgeführte Schönheitsreparaturen gewährt worden ist.

Wenn von den Parteien

  • in einem Wohnraummietvertrag vereinbart worden ist, dass
    • die Kosten der Schönheitsreparaturen innerhalb der Wohnung vom Vermieter getragen werden (= § 11 Nr. 1),
    • Umfang und Ausführung der Schönheitsreparaturen im Rahmen der hierfür nach den Vorschriften der 2. Berechnungsverordnung § 28 (4) vorgesehenen Kostenansätze erfolgt (= § 11 Nr. 2) sowie,
    • sofern der Mieter Schönheitsreparaturen selbst ausführt oder durch entsprechende Fachfirmen ausführen lässt, ihm auf Antrag die anteiligen Beträge, wie sie sich nach der obigen Verordnung errechnen, ausgezahlt werden, sofern die Ausführung sach- und fachgerecht erfolgt ist (= § 11 Nr. 3),
  • und darüber hinaus noch in einer Zusatzvereinbarung bestimmt wurde,
    • dass in Ergänzung von § 11 Ziff. 2 des abgeschlossenen Mietvertrages der Mieter nach Durchführung von Schönheitsreparaturen, die durch normale Abnutzung notwendig wurden, Anspruch auf Auszahlung des hierfür in der Miete vorgesehenen Betrages gemäß den jeweils gültigen Berechnungsverordnungen hat,

kann der Mieter nach Ablauf von mindestens fünf Jahren seit den letzten Schönheitsreparaturen selbst renovieren und entsprechend den Berechnungsvorgaben in der Zusatzvereinbarung die Zahlung des danach vorgesehenen Betrages verlangen.
Dieser Zahlungsanspruch setzt eine Zustimmung des Vermieters zur Ausführung der Schönheitsreparaturen durch den Mieter nicht voraus, sondern erfordert lediglich, dass der Mieter fällige Schönheitsreparaturen sach- und fachgerecht vorgenommen hat.
Auch wenn der Vermieter die Schönheitsreparaturen selbst hätte durchführen wollen und dies dem Mieter auch mitgeteilt worden wäre, stünde das dem Zahlungsanspruch des Mieters nicht entgegen.

Das hat der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 03.12.2014 – VIII ZR 224/13 – entschieden.

Danach sprechen für diese – dem Mieter als Gegner des Klauselverwenders günstigste – Auslegung der Klausel sowohl der Wortlaut der Klausel als auch eine Abwägung der berechtigten beiderseitigen Interessen.

  • Denn die Klausel bietet dem Mieter einen Anreiz, die Schönheitsreparaturen (kostengünstig) in Eigenarbeit durchzuführen und dafür die „angesparten“ Beträge, die den eigenen Aufwand im Einzelfall übersteigen können, ausgezahlt zu erhalten.
  • Für den Vermieter wiederum hat die Klausel den Vorteil, dass er bei Durchführung der Schönheitsreparaturen durch den Mieter eigenen Aufwand für die Planung und Abstimmung der Arbeiten mit dem Mieter erspart und das Risiko mangelhafter Ausführung beim Mieter liegt, der die Auszahlung nur erhält, wenn infolge normaler Abnutzung erforderliche Schönheitsreparaturen durch den Mieter fachgerecht ausgeführt worden sind.

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs am 03.12.2014 – Nr. 179/2014 – hingewiesen.

 

Wie weit reicht die Verantwortlichkeit des (nur) aufklärenden Arztes?

Auch ein Arzt, der einen Patienten ausschließlich über den von einem anderen Arzt angeratenen und durchzuführenden Eingriff aufklärt, kann dem Patienten im Falle einer fehlerhaften oder unzureichenden Aufklärung aus unerlaubter Handlung haften.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 21.10.2014 – VI ZR 14/14 – hingewiesen.

Denn, wie der VI. Zivilsenat des BGH ausgeführt hat, kann auch ein Arzt, der nur die Aufklärung des Patienten über eine ihm angeratene Operation übernommen hat, eine unerlaubte Handlung begehen (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2009 – VI ZR 251/08 –).
Mit der Aufklärung übernimmt der Arzt nämlich einen Teil der ärztlichen Behandlung, was – wie auch sonst die tatsächliche Übernahme einer ärztlichen Behandlung – seine Garantenstellung gegenüber dem sich ihm anvertrauenden Patienten begründet. Ist die Aufklärung unvollständig und die Einwilligung des Patienten in die Operation unwirksam, kann der aufklärende Arzt deshalb gemäß § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zum Ersatz des durch die Operation entstandenen Körperschadens verpflichtet sein.
Dies gilt nicht nur dann, wenn der aufklärende Arzt dem Patienten als zunächst behandelnder Arzt auch zur Operation geraten hat (so allerdings OLG Bamberg, Urteil vom 15.09.2003 – 4 U 11/03 –)

Ob ein Arzt, der nur die Aufklärung eines Patienten über eine ihm angeratene Operation übernommen hat, diesen

  • lediglich über die allgemeinen Risiken der beabsichtigten Operation aufzuklären hat oder
  • auch über die Erfolgsaussichten und Behandlungsalternativen (wenn das Misserfolgsrisiko hoch und die Indikation zweifelhaft ist),

hängt von der Reichweite seiner Garantenstellung ab.
Die Annahme einer Garantenpflicht bei tatsächlicher Übernahme einer ärztlichen Behandlung hat ihren Grund

  • in der Übernahme eines Auftrags, etwa gegenüber den behandelnden Ärzten, den Patienten über die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Operationen aufzuklären  (vgl. BGH, Urteile vom 31.01.2002 – 4 StR 289/01 – und vom 08.02.2000 – VI ZR 325/98 –) oder
  • in dem Vertrauen, das der betreffende Arzt beim Patienten durch sein Tätigwerden hervorruft und diesen davon abhält, anderweitig Hilfe in Anspruch zu nehmen.

In der vorgenannten zweiten Fallgruppe ist für die Reichweite der Garantenstellung des Arztes der Umfang des Vertrauens entscheidend, das sich der Patient aufgrund des konkreten Auftretens des Arztes berechtigterweise bilden darf.
Dies lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern hängt stets von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Dabei kommt es darauf an, wie ein objektiver Dritter in der Lage des Patienten das Verhalten des Arztes in der konkreten Behandlungssituation verstehen durfte. 

 

Wenn ein Autofahrer das Mobiltelefon während der Fahrt an den Beifahrer weitergibt und der den Anruf entgegennimmt.

Ein Autofahrer, der während des Fahrens sein Handy lediglich aufnimmt und es, ohne vorher das Display abzulesen, seinem Beifahrer reicht, benutzt es nicht und handelt deshalb auch nicht ordnungswidrig nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 22, 23 Abs. 1a Straßenverkehrs-Ordnung (StVO).

Das hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Köln mit Beschluss vom 07.11.2014 – III-1 RBs 284/14 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war eine Autofahrerin, die ihr Mobiltelefon, als es während der Fahrt klingelte, ohne vorher auf das Display zu schauen, an ihrem Beifahrer, der das Gespräch entgegennahm, weitergereicht hatte, vom Amtsgericht wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons nach § 23 Abs. 1a StVO zu einer Geldbuße von 40 Euro verurteilt worden.

Das OLG Köln sah in diesem Verhalten der Autofahrerin keinen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO und hob das amtsgerichtliche Urteil auf.

Zwar schließe, wie das OLG Köln ausgeführt hat, eine Benutzung im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO „Vor- und Nachbereitungshandlungen“ ein. Dem unterfalle etwa

  • das Aufnehmen des Mobiltelefons, Ablesen der Nummer und anschließendes Ausschalten des Geräts,
  • das „Wegdrücken“ eines eingehenden Anrufs,
  • das Aufnehmen des Mobiltelefons, um ein eingehendes Gespräch entgegenzunehmen, auch wenn die Verbindung letztlich nicht zustande kommt und
  • das Abhören eines Signaltons, um dadurch zu kontrollieren, ob das Handy ausgeschaltet ist.

Nicht mehr vom gesetzlichen Tatbestand des § 23 Abs. 1a StVO gedeckt sei aber

  • die bloße Ortsveränderung des Mobiltelefons,

weil eine solche Handlung keinen Bezug zur Funktionalität des Geräts aufweise. Daher erfüllt den Tatbestand nicht, wer das Mobiltelefon lediglich aufnehme, um es andernorts wieder abzulegen.

Der Argumentation, dass im Aufnehmen des Geräts nach Erklingen des Signaltons regelmäßig der erste Schritt zur Kommunikation zu erblicken sei, folgt das OLG nicht.

Die Fahrerin habe hier durch die Weitergabe des Mobiltelefons

  • ohne vorheriges Ablesen des Displays

nämlich keinen eigenen Kommunikationsvorgang vorbereitet. Der Fall sei deshalb letztlich nicht anders zu beurteilen als die Ortsveränderung eines beliebigen Gegenstands im Fahrzeug, wie etwa wenn der Fahrer das Mobiltelefon wegen von diesem ausgehender störender Geräusche verlege.
Von den Fällen des „Wegdrückens“ eines eingehenden Anrufs oder des Ausschaltens des Geräts unterscheide sich der vorliegende Fall dadurch, dass dort gerade eine der Funktionsmöglichkeiten des Mobiltelefons genutzt werde.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Köln am 01.12.2014 mitgeteilt.

 

Der Diebstahl mit Bagatellschaden, wie wird er geahndet?

Die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe jenseits des gesetzlichen Mindestmaßes von einem Monat kann auch bei einer Diebstahlstat mit nur bagatellhaftem Schaden bei einem erheblich vorbestraften Täter noch schuldangemessen sein.

Das hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 21.10.2014 – 1 RVs 82/14 – entschieden und einen 46 Jahre alten, alkoholkranken und wegen Diebstahls bereits in erheblichem Umfang vorbestraften Angeklagten, der in einem Lebensmittelmarkt eine Flasche Wodka zum Preis von 4,99 Euro entwendet hatte, dessen Schuldfähigkeit zur Tatzeit auf Grund vorausgegangenen Alkoholgenusses erheblich vermindert und der im Strafverfahren geständig war, wegen dieses Diebstahls nach § 242 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat und einer Woche (ohne Bewährung) verurteilt.

Nach Auffassung des 1. Strafsenats des OLG Hamm, die von anderen Oberlandesgerichten geteilt wird und auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) so anerkannt worden ist, können auch bei Bagatellstraftaten kurzzeitige, auch vollstreckbare Freiheitsstrafe i.S.v. § 47 StGB verhängt werden (OLG Hamm, Beschlüsse vom 06.03.2014 – III 1 RVs 10/14 und vom 03.12.2013 – 1 RVs 90/13 –; OLG Brandenburg, Beschluss vom 13.07.2009 – 1 Ss 48/09 –;  OLG Braunschweig, Beschluss vom 25.10.2001 – 1 Ss 52/01 –; OLG Celle, Beschluss vom 18.08.2003 – 22 Ss 101/03 –; OLG Dresden, Beschluss vom 21.07.2014 – 2 OLG 21 Ss 319/14 –; OLG München, Beschluss vom 10.08.2009 – 5 St RR 201/09 –; OLG Naumburg, Beschluss vom 28.06.2011 – 2 Ss 68/11 –; BVerfG, Beschluss vom 09.06.1994 – 2 BvR 710/94 –). Liegen zahlreiche, überwiegend einschlägige Vorstrafen vor und hat ein Täter sich bisher weder von Geldstrafen noch von Bewährungsstrafen noch von der Vollstreckung – kurzzeitiger – Freiheitsstrafen von der Begehung einer neuerlichen Tat abhalten lassen, ist die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe im Sinne des § 47 StGB danach sogar naheliegend.

Allerdings ist, worauf der 1. Strafsenat des OLG Hamm hingewiesen hat, in der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung die Frage umstritten, inwieweit bei Bagatellschäden eine Freiheitsstrafe jenseits des gesetzlichen Mindestmaßes von einem Monat verhängt werden darf.

  • So hat das OLG Braunschweig (Beschluss vom 25.10.2001 – 1 Ss 52/01 –) im Fall des Diebstahls einer Schachtel Zigaretten durch einen mehrfach vorbestraften Täter die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten für „schlechthin unangemessen“ erachtet.
  • Das OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.02.2006 – 1 Ss 575/05 – sah eine Freiheitsstrafe von zwei Monaten für eine Freifahrterschleichung mit einer Schadenssumme von 1,65 Euro „ohne Rücksicht auf die strafrechtliche Vergangenheit eines Angeklagten“ als „unverhältnismäßig und nicht mehr vertretbar“ an.
  • Das OLG Oldenburg (Beschluss vom 28.07.2008 – Ss 266/08 –) hat bei einem Diebstahl von Lebensmitteln im Wert von fünf Euro eine über dem gesetzlichen Mindestmaß liegende Freiheitsstrafe ebenfalls für „schlechthin unangemessen“ erachtet und die Regel aufgestellt, dass eine Freiheitsstrafe über dem gesetzlichen Mindestmaß nur dann in Betracht kommt, wenn der Wert der Tatbeute über einem Drittel der Geringwertigkeitsgrenze von (seinerzeit) 30 Euro, also über 10 Euro liege.

Begründet wurde dies mit der Strafpraxis in anderen Fällen, in denen Wirtschaftskriminelle, die Schäden in Millionenhöhe angerichtet hätten, häufig zu Bewährungsstrafen verurteilt würden und dazu dann die Relation der Strafen bei Bagatelldelikten nicht mehr passen würde.

  • Andere obergerichtliche Entscheidungen heben hervor, dass das in § 38 Abs. 2 StGB festgesetzte Mindestmaß von einem Monat im Vergleich zu einer nach dem Gesetz grundsätzlich primär vorgesehenen Festsetzung einer Geldstrafe das insoweit durch § 40 Abs. 1 S. 2 StGB festgelegte gesetzliche Mindeststrafmaß von 5 Tagessätzen Geldstrafe bereits deutlich übersteigt und auch die gewählte Sanktionsart für sich genommen eine erheblich belastendere Beschwer darstellt (OLG Hamm, Beschluss vom 03.12.2013 – 1 RVs 90/13 –; OLG Dresden, Beschluss vom 21.07. 2014 – 2 OLG 21 Ss 319/14 –).

Im Übrigen ist die obergerichtliche Rechtsprechung sehr einzelfallbezogen und sehr uneinheitlich, ab wann eine Freiheitsstrafe jenseits des gesetzlichen Mindestmaßes nicht mehr schuldangemessen sein soll.

  • So hat das OLG Nürnberg (Beschluss vom 25.10.2005 – 2 St OLG Ss 150/05 –) eine Freiheitsstrafe von einem Monat und zwei Wochen in einem (offenbar) Fall eines „absolut geringwertigen Diebstahls“ unbeanstandet gelassen.
  • Das OLG Jena (Beschluss vom 27.04.2006 – 1 Ss 238/05 –) hat in einem Fall eines „Ladendiebstahls mit sehr geringem Beutewert“ auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin die Verurteilung des Angeklagten zu einer Geldstrafe aufgehoben und die Sache insoweit zurückverwiesen und auf die wegen des Verschlechterungsverbots (der Angeklagte war in erster Instanz noch zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden) bestehende Strafobergrenze von vier Monaten Freiheitsstrafe hingewiesen, also durchaus eine mehrmonatige Freiheitsstrafe für möglich erachtet.

Der 1. Strafsenat des OLG Hamm hält grundsätzlich die Verhängung einer Freiheitsstrafe auch jenseits des gesetzlichen Mindestmaßes bei Diebstahlstaten mit bagatellartigen Schäden für rechtlich zulässig.
Zur Begründung hat der Senat auf das BVerfG verwiesen, das im Kammerbeschluss vom 09.06.1994 – 2 BvR 710/94 – auch über dem gesetzlichen Mindestmaß liegende Freiheitsstrafen von (jeweils) zwei Monaten für Taten mit Bagatellschaden (konkret: 13,60 DM und 1,40 DM) aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht beanstandet und ausgeführt hat:
„Die verhängte Strafe übersteigt auch unter Berücksichtigung der geringen Schadenshöhe nicht die Schuld des Beschwerdeführers und verletzt somit nicht das Gebot schuldangemessenen Strafens aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Aus diesem Gebot ergibt sich nicht, dass die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 StGB erst ab einer bestimmten Schadenshöhe in Betracht kommt. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe gegen den Beschwerdeführer ist angesichts seiner vielfachen, überwiegend einschlägigen Vorstrafen nachvollziehbar, jedenfalls nicht sachfremd oder willkürlich im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG.“

Der 1. Strafsenat des OLG Hamm folgert daraus, dass es also gerade nicht gegen das Gebot schuldangemessenen Strafens verstößt, wenn im Hinblick auf Vorstrafen auch bei geringen Schadenssummen vollstreckbare Freiheitsstrafen über dem gesetzlichen Mindestmaß verhängt werden. Vielmehr ist es einfachgesetzlich so, dass sich die Strafhöhe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens gerade nicht nur nach der Schadenshöhe bestimmt. Diese ist nur eine unter vielen Strafzumessungsgesichtspunkten. Maßgebend ist hier die Vorschrift des § 46 StGB. Insoweit hat das OLG Jena (Urteil vom 27.04.2006 – 1 Ss 238/05) zutreffend ausgeführt:
„Der Strafrahmen des § 242 Abs. 1 StGB differenziert nicht nach dem Wert der Diebesbeute. Ob im Einzelfall eine Freiheitsstrafe verhängt wird, richtet sich allein nach den in § 46 StGB normierten Grundsätzen der Strafzumessung. Bei der Bestimmung der damit maßgeblichen Schuld i.S.d. § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB kann nicht limitierend einseitig auf den Wert der Tatbeute abgestellt werden. Komponenten der Schuld sind vielmehr alle diejenigen Faktoren, die den Grad des Vorwurfs bestimmen, der den Täter wegen seiner Tat trifft. Dazu gehören sowohl der Handlungsunwert als auch der Erfolgsunwert. Der Handlungsunwert wird u.a. bestimmt durch das Vorleben des Täters, insbesondere schon frühere – einschlägige – Straftaten und Missachtung von Warneffekten durch Vorstrafen. Der Erfolgsunwert wird mitbestimmt durch das Ausmaß des tatbestandsmäßigen Erfolges, hier den Wert der Diebesbeute. Die (personale) Handlungskomponente und die (tatbezogene) Erfolgskomponente der Strafzumessungsschuld können nicht getrennt betrachtet werden, sondern sind einer Gesamtwürdigung zu unterziehen, in der ein Weniger an Erfolgsunwert (hier: Beutewert) durch ein Mehr an Handlungsunwert (hier: beharrliche Nichtbeachtung diverser einschlägiger Strafen, Tatbegehung in    laufender Bewährungszeit kurz nach letzter Verurteilung zu Freiheitsstrafe wegen gleichartiger Tat) ausgeglichen werden kann. Nach allem bilden die den gesetzlichen Straftatbestand erfüllenden Momente, darunter beim Erfolgsdelikt der Umfang des eingetretenen oder erstrebten Erfolges, nur einen Ausschnitt aus der Strafzumessungsschuld.“

Dementsprechend hält es der 1. Strafsenat des OLG Hamm schon für falsch, stets schon von „Bagatelltaten“ zu sprechen, nur weil der angerichtete Schaden oder die Beute objektiv gering geblieben sind; dies schon deshalb, weil sich das Ausmaß der Betroffenheit von einem eingetretenen Schaden maßgeblich auch an den konkreten persönlichen Verhältnissen des Geschädigten orientiert. Ob eine Tat eine Bagatelltat ist, richtet sich nach der gesetzlichen Regelung des § 46 StGB, welche eine umfassende Würdigung verschiedenster Umstände vorsieht und eben nicht bloß auf Beute oder Schadenshöhe abstellt und auch insoweit noch nicht einmal eine Rangordnung vorsieht (was sich schon daraus ergibt, dass die Aufzählung nicht abschließend ist – „namentlich“ – sondern nur Regelbeispielscharakter hat). Es kann daher bestenfalls von bagatellhaften Schäden einer Tat die Rede sein. Ob sich daraus aber auch die Einstufung als Bagatelltat ergibt, ist im Rahmen einer Gesamtschau zu entscheiden.

Auch hält der 1. Strafsenat des OLG Hamm das Argument des OLG Oldenburg (s.o.), das Gebot der Strafgleichheit verbiete eine höhere Freiheitsstrafe als einen Monat bei Bagatelltaten weil ansonsten die Relation zu Strafen bei schwerer Wirtschaftskriminalität nicht mehr gewahrt sei, für nicht durchgreifend.
Zum einen kann man, wie der 1. Strafsenat des OLG Hamm ausführt, schon fragen, warum das möglicherweise unangemessen milde Bestrafen schwerer Wirtschaftskriminalität Maßstab für alle anderen Strafbewertungen werden sollte. Weiter wird durch die alleinige Betrachtung der Schadenshöhe die Regelung des § 46 StGB nicht vollständig erfasst. „Bewährungsstrafen“ im Falle der schweren Wirtschaftskriminalität scheiden nämlich grundsätzlich ebenfalls meist aus, wenn der Täter bereits (mehrfach) vorbestraft ist. Schließlich ist die – zugegebenermaßen  – dem Wirtschaftskriminellen günstigere Relation von Strafe zu angerichtetem Schaden und aufgewandter krimineller Energie zumindest teilweise Ausfluss bestimmter gesetzgeberischer Grundentscheidungen, die die Rechtsprechung aufgrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung nicht aushebeln kann.
So liegt die Strafobergrenze selbst bei einem herbeigeführten Vermögensverlust großen Ausmaßes im Falle des Betruges nur bei zehn Jahren (§ 263 Abs. 3 StGB). Bei der Höhe möglicher Schäden oder Beuten gibt es keine Obergrenze – beim Strafmaß schon. Immer wieder werden spektakuläre Vermögensschäden bekannt, die bisher bekannte Schadensausmaße in den Schatten stellen. Ob es rechtlich zutreffend ist, dass sich die Rechtsprechung diesen Gegebenheiten durch die Verhängung vergleichsweise milder werdender Strafen „anpasst“, bedarf hier keiner Beurteilung. Auch im Falle des Vorliegens einer Vielzahl von Einzeltaten verhindert die Regelung des § 54 Abs. 2 S. 2 StGB eine höhere Bestrafung als 15 Jahre Freiheitsstrafe, so dass auch hier der Intensivtäter, bei dem sich ab einem bestimmten Punkt weitere – auch schwere Taten – nicht mehr straferhöhend auswirken, letztlich einen Vorteil gegenüber dem Täter einer Einzeltat erlangt. Diesen Regelungen (in Verbindung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH), dass der Summe der Einzelstrafen bei der Gesamtstrafenbildung nach § 54 StGB nur geringes Gewicht zukommt, vgl. BGH, Beschluss vom 25.08.2010 – 1 StR 410/10 –) ist also immanent, dass der Täter, der sehr hohe Schäden anrichtet oder viele Straftaten begeht, die gleichzeitig abgeurteilt werden, proportional geringer bestraft wird, als ein Täter nur einer einzelnen Straftat mit eher geringem Schaden. Das zu ändern steht aber nicht der Rechtsprechung an. Hierzu ist allein der Gesetzgeber berufen.
Der Senat würde es als dem Gebot einer gleichen und gerechten Strafanwendung geradezu zuwiderlaufend ansehen, wenn der besonders unbelehrbare Täter, der schon vielfach bestraft wurde und Hafterfahrung hat, allein unter dem Gesichtspunkt eines bagatellhaften Schadens in keinem Fall mit einer höheren Freiheitsstrafe als einer solchen von einem Monat belegt werden könnte und damit dem Täter gleichgestellt würde, bei dem erstmals unter Anwendung der Regelung des § 47 StGB auf eine kurzzeitige Freiheitsstrafe von einem Monat bei einer Tat mit bagatellhaftem Schaden erkannt würde, wenn ansonsten vergleichbare Umstände vorlägen.
Beachtet dabei werden muss jedoch immer, dass bei der Bemessung der Strafe der Bereich schuldangemessenen Strafens nicht überschritten wird.