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OLG Celle entscheidet: Geschwindigkeitsmessungen mit Messgerät LEIVTEC XV3 sind nicht immer zuverlässig genug

Mit Urteil vom 18.06.2021 – 2 Ss (Owi) 69/21 – hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Celle entschieden, dass mit dem 

  • Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC XV3 

erzielte Messergebnisse 

  • in Bußgeldverfahren 

derzeit nicht mehr ohne Weiteres zugrunde gelegt werden können.

Begründet worden ist dies vom Senat damit worden, dass die für die Bauartprüfung dieses Messgeräts zuständige Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) zwischenzeitlich 

  • bei bestimmten Versuchsanordnungen seltene Messfehler 

reproduzieren konnte, die 

  • zulässige Toleranzen 

überschritten, (noch) nicht eindeutig feststeht ist, unter welchen Messbedingungen sich Messwertabweichungen 

  • zu Ungunsten bzw. 
  • ausschließlich zu Gunsten Betroffener 

auswirken können und dieses Messgerät damit derzeit keine hinreichende Gewähr (mehr) bietet 

  • für die Annahme eines standardisierten Messverfahrens und 
  • für die Zuverlässigkeit der erzielten Messergebnisse.

Das bedeutet, dass, wenn mit dem Messgerät LEIVTEC XV3 

  • die Geschwindigkeit kontrolliert und 

bei einem Kraftfahrzeugführer eine Geschwindigkeitsüberschreitung festgestellt worden ist, der erzielte Messwert in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Betroffenen nicht mehr, 

  • wie das bei einem standardisierten Messverfahren zulässig ist, 

ohne weitere Überprüfungen zugrunde gelegt werden darf, sondern das Amtsgericht  

  • mithilfe eines Sachverständigengutachtens 

genauer aufklären muss, ob die gemessene Geschwindigkeit 

  • sicher 

festzustellen ist bzw. Messfehler zu Lasten des Betroffenen ausgeschlossen sind.

Der Senat hat deshalb in dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall, in dem gegen einen Kraftfahrzeugführer vom Amtsgericht 

  • wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 37 km/h, 
  • gemessen mit dem Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC XV3, 

eine Geldbuße von 140 € festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt worden war, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen 

  • dieses Urteil aufgehoben und 
  • das Verfahren zur genaueren Aufklärung, ob die dem Betroffenen vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung sicher festzustellen ist, an das Amtsgericht zurückverwiesen (Quelle: Pressemitteilung des OLG Celle). 

OLG Düsseldorf entscheidet: Kein Schmerzensgeld für einen 24-Jährigen, dem mit 5 Jahren die Vorhaut operativ

…. entfernt wurde wegen Spätfolgen.

Mit Urteil vom 01.07.2021 – I-8 U 165/20 – hat der für das Arzthaftungsrecht zuständige 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf die

  • Klage eines 24-jährigen Mannes 

abgewiesen, dem 

  • als Kind im Alter von 5 Jahren wegen einer diagnostizierten hochgradigen Phimose 

operativ die Vorhaut entfernt wurde, der unter den Folgen heute noch leidet und der mit der Begründung, dass damals 

  • eine Salbentherapie, wie sie heute üblich ist, ausgereicht hätte und 
  • darüber seine Eltern hätten aufgeklärt werden müssen, 

von 

  • dem Urologen und 
  • dem Träger des Krankenhauses, in welchem der Eingriff 2003 durchgeführt wurde, 

30.000 EUR Schmerzensgeld verlangt hatte.

Die Klage hatte, wie vom Senat ausführt worden ist, deshalb keinen Erfolg, weil der 24-Jährige weder hatte beweisen können, 

  • dass die seinerzeit gestellte Diagnose einer hochgradigen Phimose unrichtig war, 

noch, 

  • dass die aufgrund dieser Diagnose durchgeführte Zirkumzision behandlungsfehlerhaft durchgeführt wurde. 

Auch durfte der Urologe, 

  • da die Art der Behandlung anhand der im Jahr 2003 geltenden Standards zu beurteilen ist, 

im Jahr 2003 davon ausgehen, dass 

  • aufgrund der festgestellten Verengung 

die operative Entfernung der Vorhaut geboten ist und mussten die Eltern des damals 5-Jährigen,

  • nachdem nach den damaligen Verhältnissen eine Salbentherapie noch nicht als gleichwertige Therapieform etabliert war, 

über die Möglichkeit einer Salbentherapie nicht aufgeklärt werden, so dass aus der maßgeblichen Sicht des Jahres 2003 folglich 

  • dem Arzt und damit auch dem Krankenhaus 

nichts vorzuwerfen ist (Quelle: Pressemitteilung des OLG Düsseldorf).

Eltern eines schulpflichtigen behinderten Kindes sollten wissen, dass die gesetzliche Krankenkasse auch verpflichtet

…. sein kann, ihrem Kind eine Spracherkennungsoftware zur Verfügung zu stellen bzw. die Kosten hierfür zu übernehmen oder für die bereits angeschaffte Software zu erstatten. 

Mit Urteil vom 01.04.2021 – L 4 KR 187/18 – hat das Landessozialgericht (LSG) entschieden, dass für behinderte Kinder die

  • Spracherkennung Dragon Naturally Speaking

ein 

  • Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur Sicherung der Schulfähigkeit 

sein kann und in dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall, in dem die gesetzlich versicherten Eltern einer neunjährigen Förderschülerin, 

  • die seit einer frühkindlichen Hirnblutung an spastischen Lähmungen leidet und 
  • nur unter größter Anstrengung einen Stift halten und schreiben kann,

für ihr Kind 

  • eine Computerausstattung mit Dragon Professional für Schüler für 595,- €

beantragt hatten, die Krankenkasse zur 

  • Übernahme der Kosten 

hierfür verurteilt.

Begründet hat das LSG seine Entscheidung damit, dass zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auch 

  • die Herstellung und Sicherung der Schulfähigkeit bzw.
  • der Erwerb einer elementaren Schulausbildung 

gehört, somit, wenn ein Schüler aufgrund einer Behinderung ein Hilfsmittel benötigt, um 

  • am Unterricht teilnehmen oder 
  • die Hausaufgaben erledigen 

zu können, die Kasse dieses Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen hat und diesbezüglich bei Kindern,

  • um deren weiterer Entwicklung Rechnung zu tragen, 

ein großzügigerer Maßstab anzulegen ist, so dass die Spracherkennungssoftware vorliegend  als 

  • Hilfsmittel für Behinderte 

i.S.v. § 33 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bewertet werden kann, das der 

  • Integration

dient (Pressemitteilung des LSG Celle-Bremen).

Fahrradlieferanten sollten wissen, dass sie von ihrem Arbeitgeber verlangen können, ihnen ein verkehrstüchtiges Fahrrad und

…. ein internetfähiges Mobiltelefon mit Datennutzungsvertrag für ihre dienstliche Tätigkeit zur Verfügung zu stellen, wenn ihr Arbeitsvertrag nicht wirksam etwas Abweichendes regelt.

Das sowie dass Fahrradlieferanten diesen Anspruch auf Stellung der 

  • zwingend zur Ausübung der Tätigkeit erforderlichen 

Arbeitsmittel einklagen können und die Pflicht, 

  • ohne finanziellen Ausgleich zwingend notwendige Arbeitsmittel von einigem Wert 

selbst stellen zu müssen, durch Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht wirksam begründet werden kann, 

  • da eine solche Regelung den Arbeitnehmer nach § 307 Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unangemessen benachteiligen würde,

hat das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) mit Urteil vom 12.03.2021 – 14 Sa 306/20 – entschieden. 

Das LAG hat in dem dem Urteil zugrunde liegendem Fall einem bei einen 

  • Lieferdienst beschäftigten Fahrradlieferanten 

Recht gegeben, zu dessen Aufgaben es gehörte 

  • mit einem Fahrrad Bestellungen von Essen und Getränken bei Restaurants abzuholen und zu den Kunden zu bringen,

in dessen Arbeitsvertrag geregelt war, dass 

  • dem Arbeitnehmer für den Einsatz während der Schichten ein nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückzugebendes bestimmtes, in einem separaten Vertrag aufgeführtes, Equipment gestellt wird, 
  • zu dem allerdings weder ein Fahrrad noch ein Smartphone gehörte 

und der,

  • um nicht mehr sein eigenes Fahrrad und sein eigenes Mobiltelefon für seine Arbeit nutzen zu müssen, 

Klage gegen seinen Arbeitgeber erhoben hatte, mit dem Antrag, seinen Arbeitgeber zu verurteilen, ihm

  • die unstreitig zur Erfüllung seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung als Fahrradlieferant zwingend erforderlichen Betriebsmittel, 

nämlich

  • ein Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon mit Datennutzungsvertrag

zur Verfügung zu stellen.

Begründet hat das LAG seine Entscheidung u.a. damit, dass aus §§ 611a, 615 S. 3, 618 BGB folgt, dass ein Arbeitgeber 

  • die für die Erbringung der Arbeitsleistung notwendigen Betriebsmittel zu beschaffen sowie zur Verfügung zu stellen hat  

und ein Arbeitnehmer

Fahrzeugeigentümer, deren PKW bei einem Verkehrsunfall beschädigt wurde, sollten wissen, dass nicht reparierte Vorschäden

…. einen Schadensersatzanspruch vollständig entfallen lassen können.

Mit Urteil vom 09.06.2021 – 1 O 4/20 – hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Frankenthal darauf hingewiesen, dass, wenn ein Fahrzeugeigentümer 

  • nach einem Verkehrsunfall gegen den Unfallverursacher bzw. gegen dessen KFZ-Haftpflichtversicherung 

Ersatz von Reparaturkosten verlangt und  

  • sich im Prozess herausstellt, dass 

von den geltend gemachten Schäden an dem Fahrzeug nicht alle auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen sind, dies zum  

  • Verlust des gesamten Schadensersatzanspruchs 

führen kann.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall, in dem eine Frau, 

  • nachdem der Fahrer eines anderen Fahrzeugs beim Ausparken leicht gegen das Heck ihres ordnungsgemäß geparkten Autos gestoßen war, 

Reparaturkosten in Höhe von ca. 5.000,00 € von der KFZ-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers gefordert und behauptet hatte, dass 

  • die Folgen eines früheren Unfalls 

ordnungsgemäß repariert wurden, ist ihre 

  • Klage vom LG 

abgewiesen worden, weil nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen

  • manche der geltend gemachten Schäden zwar plausibel auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen sein konnten,
  • bei manchen der geltend gemachten Schäden eine Zurückführung auf den streitgegenständlichen Unfall jedoch sicher auszuschließen war.

Begründet hat die Zivilkammer die Klageabweisung damit, dass aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen die Folgen eines früheren Unfalls offensichtlich nicht 

  • – wie von der Frau behauptet –

ordnungsgemäß repariert worden waren und nachdem sich in einer solchen Situation nicht sicher feststellen lasse, ob oder welche der 

  • Schäden zusätzlich 

bei dem späteren Unfall entstanden sind, der Unfallverursacher auch nicht für den grundsätzlich 

  • plausiblen Teilschaden 

einstehen müsse (Quelle: Pressemitteilung des LG Frankenthal).

Wann haftet der Ponyhof-Betreiber, wenn ein Kind vom von der Mutter angemieteten und geführten Pferd stürzt?

Mit Urteil vom 26.11.2020 – 8 U 7/20 – hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg in einem Fall, in dem eine Mutter für ihre fünfjährige Tochter 

  • für einen Ausritt 

ein Pony gemietet hatte und die Tochter von dem 

  • von der Mutter geführten 

Tier gestürzt war, weil das Pony, 

  • als zwei andere vorausreitende Kinder schneller weiterritten, 

sich losgerissen hatte und hinterher gestürmt war, entschieden, dass für die Sturzfolgen der 

  • Betreiber des Ponyhofes 

haftet und ihn zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 10.000 Euro an das fünfjährige Mädchen verurteilt, 

  • das bei dem Sturz von dem Pony innere Verletzungen erlitten hatte und im Krankenhaus einmal reanimiert werden musste.

Begründet hat der Senat dies damit, dass der Betreiber des Ponyhofs, 

  • als der Halter des Ponys, 

nach § 833 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) grundsätzlich für den Schaden haftet, der, wie hier, durch die 

  • Verwirklichung der von dem Pony ausgehenden Tiergefahr 

entstanden ist.  

Die Mutter des Mädchens, 

  • die die Aufsichtspflicht über das Pony vertraglich übernommen habe und 
  • damit grundsätzlich als Tieraufseherin nach § 834 BGB auch verantwortlich für den Schaden sei, den das Tier verursacht, 

habe sich, so der Senat, entlasten können und hafte deshalb nicht.

Sie habe bewiesen, dass,  

  • nachdem sie davon ausgehen durfte, dass ein Pony, das zum Ausreiten vermietet werde, eine gewisse Routine bei Ausritten habe und 
  • im Gelände nicht nervös werde oder besonders gesichert werden müsse,

das Tier von ihr nach ihren Möglichkeiten beaufsichtigt worden sei und sie keine Möglichkeit gehabt habe, 

  • das Tier zu stoppen oder 
  • ihre Tochter rechtzeitig vom Sattel zu heben, 

so dass sie kein Mitverschulden treffe (Quelle: Pressemitteilung des OLG Oldenburg).

Wichtig zu wissen für ausländische Betreuungskräfte und Privathaushalte, die deren Hilfe in Anspruch nehmen (wollen)

Mit Urteil vom 24.06.2021 – 5 AZR 505/20 – hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass von einem ausländischen Arbeitgeber 

  • nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte 

ausländische Betreuungskräfte (auch) Anspruch haben auf den 

  • gesetzlichen Mindestlohn 

für geleistete Arbeitsstunden, zu denen auch

  • Bereitschaftsdienst

gehört, der darin bestehen kann, dass 

  • die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und 
  • grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten.

Der Entscheidung zugrunde liegt ein Fall, in dem 

  • unter Berufung auf das Mindestlohngesetz (MiLoG), 

eine

  • bei einem Unternehmen mit Sitz in Bulgarien 

als Sozialassistentin beschäftigte bulgarische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Bulgarien, von ihrem Arbeitgeber, von dem sie, 

  • auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrags zwischen ihm und einer in Berlin lebenden 90-jährigen zu betreuenden Person, 

nach Berlin entsandt worden war und dort gegen eine Nettovergütung von 950,00 Euro monatlich im Haushalt der 90-Jährigen, 

  • bei der sie auch ein Zimmer bewohnte,

gearbeitet hatte, weitere Vergütung mit der Begründung verlangt, dass zwar

  • in ihrem in bulgarischer Sprache abgefassten Arbeitsvertrag eine Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich vereinbart gewesen sei, wobei Samstag und Sonntag arbeitsfrei sein sollten,

sie tatsächlich aber nicht nur 30 Wochenstunden, sondern,

  • da ihre Aufgabe neben Haushaltstätigkeiten (wie Einkaufen, Kochen, Putzen etc.) eine „Grundversorgung“ (wie Hilfe bei der Hygiene, beim Ankleiden etc.) sowie soziale Aufgaben (z.B. Gesellschaft leisten, Ansprache, gemeinsame Interessenverfolgung) umfassten, 

rund um die Uhr Betreuungsarbeit habe leisten oder zumindest in Bereitschaft habe sein müssen.

Zur Aufklärung, in welchem Umfang die Klägerin 

  • zu vergütende Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst leisten musste und 
  • wie viele Stunden Freizeit sie hatte,

ist die Sache vom BAG an das Landesarbeitsgericht (LAG) zurückverwiesen worden (Quelle: Pressemitteilung des BAG).

LAG Schleswig-Holstein entscheidet: Trunkenheitsfahrt eines angestellten Berufskraftfahrers kann fristlose Kündigung rechtfertigen

Mit Urteil vom 24.03.2021 – 6 Sa 284/20 – hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts (LAG) Schleswig-Holstein in einem Fall, in dem einem angestellten Berufskraftfahrer,

  • weil er während der Arbeitszeit in alkoholisiertem (Blutalkoholkonzentration von 1,49 Promille) mit einem Firmen-LKW einen Unfall mit erheblichem Sachschaden verursacht hatte, 

von seinem Arbeitgeber 

  • fristlos gekündigt 

worden war, entschieden, dass die 

  • außerordentliche Kündigung 

wirksam war, mit der Rechtsfolge, dass die Kündigung  

  • mit ihrem Zugang 

das Arbeitsverhältnis beendet hat.

Die Kammer hat dies damit begründet, dass Arbeitnehmer die (arbeitsvertragliche Neben-) Pflicht haben, 

  • ihre Arbeitsfähigkeit auch nicht durch Alkoholgenuss in der Freizeit zu beeinträchtigen, 

aufgrund der besonderen Gefahren des öffentlichen Straßenverkehrs von als Berufskraftfahrern Angestellten  

  • jeder die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigende Alkoholkonsum zu unterlassen ist

und der Gekündigte,

  • indem er alkoholisiert seiner Tätigkeit als LKW-Fahrer verrichtete, 

in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat, was einen 

  • wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für eine fristlose Kündigung

darstellt (vgl. Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 20.10.2016 – 6 AZR 471/15 –). 

Auch war dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nach Auffassung der Kammer, 

  • unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und
  • unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile

nicht zumutbar, nachdem 

  • der Gekündigte massiv alkoholisiert war, 
  • er durch die von ihm begangene Pflichtverletzung nicht nur sich selbst, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer sowie Güter des Arbeitgebers in Gefahr gebracht hatte,
  • ihm als Berufskraftfahrer bewusst sein musste, dass er sich nicht alkoholisiert ans Steuer setzen darf und bei einen Verstoß ohne weiteres die Kündigung folgt sowie
  • seine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz nicht möglich war. 

Eine Abmahnung erachte die Kammer für entbehrlich, da sie die Pflichtverletzung des Gekündigten für so schwerwiegend ansah, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben 

  • unzumutbar und 
  • offensichtlich ausgeschlossen 

war.

Übrigens:
Ob die Alkoholisierung des Gekündigten ursächlich für den Unfall war oder ob der Gekündigte den Unfall auch in nicht alkoholisiertem Zustand verursacht hätte, war,

  • da die Pflichtverletzung schon in der Aufnahme und Ausführung der Tätigkeit trotz erheblichem Alkoholkonsums besteht, 

nicht entscheidungserheblich.

Was Wohnungseigentümer, die Verbindlichkeiten der Wohnungseigentümergemeinschaft getilgt haben, wissen sollten

Mit Urteil vom 07.05.2021 – V ZR 254/19 – hat der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden, dass ein Wohnungseigentümer, 

  • der Verbindlichkeiten der Wohnungseigentümergemeinschaft oder
  • eine von den Wohnungseigentümern gesamtschuldnerisch zu tragende Abgabenschuld tilgt

oder

  • an Stelle der Wohnungseigentümergemeinschaft, um eine ordnungsmäßige Verwaltung der Wohnungseigentumsanlage zu gewährleisten, 
    • selbst Verträge mit Dritten (z.B. mit Versorgern und Versicherern) schließt und 
    • die hierauf beruhenden Zahlungsansprüche tilgt,

Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann, 

  • von der Wohnungseigentümergemeinschaft (dem Verband), 
  • nicht jedoch (anteilig unmittelbar) von den anderen Wohnungseigentümern

und dass dies auch gilt 

  • in einer (zerstrittenen) Zweier-Gemeinschaft, 
  • in der ein Verwalter nicht bestellt ist und 
  • in der wegen des Kopfstimmrechts (§ 25 Abs. 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG)) keine Mehrheitsbeschlüsse möglich sind (vgl. auch BGH, Urteil vom 25.09.2020 – V ZR 288/19 –).

Begründet hat der Senat dies damit, dass

  • ein Wohnungseigentümer der eine Verbindlichkeiten der Wohnungseigentümergemeinschaft tilgt, für die Wohnungseigentümerschaft tätig wird, weshalb auch ein etwaiger Bereicherungsausgleich in diesem Verhältnis zu erfolgen hat,
  • diese Überlegungen in gleicher Weise gelten, wenn ein Wohnungseigentümer nicht Verbindlichkeiten der Wohnungseigentümergemeinschaft tilgt, sondern an ihrer Stelle selbst die Verträge mit Dritten (z.B. mit Versorgern und Versicherern) schließt und die hierauf beruhenden Zahlungsansprüche tilgt, um eine ordnungsmäßige Verwaltung der Wohnungseigentumsanlage zu gewährleisten, weil 
    • auch insoweit der Wohnungseigentümer für die Gemeinschaft tätig wird, so dass insbesondere Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683, 670 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) oder auch bereicherungsrechtliche Ansprüche gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft zu richten sind 

und 

  • für solche Verbindlichkeiten des Verbands, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis herrühren (sog. Sozialverbindlichkeiten), der einzelne Wohnungseigentümer auch nicht aus der wohnungseigentumsrechtlichen Vorschrift des § 10 Abs. 8 Satz 1 WEG aF bzw. seit dem 01.12.2020 des § 9a Abs. 4 Satz 1 WEG haftet (vgl. BGH, Urteil vom 26.10.2018 – V ZR 279/17 –). 

OLG Celle konkretisiert welche Mindestnachforschungspflicht das Nachlassgericht zur Erbenermittlung trifft

…. bevor es das Erbrecht des Staates feststellen darf.

Hat ein Verstorbener 

  • keinen Ehe- oder Lebenspartner und 
  • keine Verwandten und 
  • hat er auch nicht durch ein Testament oder eine andere letztwillige Verfügung einen Erben eingesetzt, 

so erbt sein Vermögen der Staat (§ 1936 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)). 

Dieses sog. Erbrecht des Fiskus stellt das Nachlassgericht nach § 1964 BGB fest, wenn ein Erbe nicht 

  • innerhalb einer den Umständen entsprechenden Frist 

zu ermitteln ist. 

Mit Beschluss vom 20.04.2021 hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Celle zum einen darauf hingewiesen, dass 

  • Reichweite und Umfang der Erbenermittlungen zwar im pflichtgemäßen Ermessen des Nachlassgerichts stehen und 
  • das Nachlassgericht auch beispielweise nach § 1965 BGB von einer öffentlichen Aufforderung zur Anmeldung von Erbrechten absehen darf, wenn die dafür erforderlichen Kosten im Hinblick auf das Vermögen des Erblassers unverhältnismäßig hoch wären, 

zum anderen aber gleichzeitig auch hervorgehoben, dass 

  • die Anforderungen an die Erbenermittlungspflicht des Nachlassgerichts dabei nicht zu niedrig angesetzt werden dürfen

und in dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall, in dem

  • die Erblasserin in der von ihr gemieteten Wohnung tot aufgefunden worden war, 
  • das für die Bestattung zuständige Ordnungsamt keine Informationen zu Angehörigen hatte, 
  • das Zentrale Testamentsregister zwar auf eine namentlich benannte Tochter der Erblasserin hinwies, 
  • von dem Standes- und Einwohnermeldeamt an dem angegebenen Geburtsort dieser Tochter aber mitgeteilt worden war, dass diese dort nicht gemeldet sei,

entschieden, dass, 

  • bevor das Erbrechts des Staates festgestellt werden darf, 

regelmäßig mindestens Anfragen an 

  • Sterbe-, Ehe- und Geburtenregister der feststellbaren Lebensmittelpunkte eines Erblassers

gerichtet und wenn, wie hier,  

  • zudem der Name, das Geburtsdatum und der Geburtsort einer möglichen Tochter bekannt sind, auch ausgehend von diesen Informationen weitere Ermittlungen 

durchgeführt werden müssen (Quelle: Pressemitteilung des OLG Celle).

Übrigens:
Der Staat wird auch dann Erbe. wenn alle vorhandenen Verwandte und Ehegatten des Erblassers das Erbe ausschlagen.
Eine ihm als gesetzlichem Erbe angefallene Erbschaft kann der Fiskus nicht ausschlagen (1942 Abs. 2 BGB).